"Ich will mein Lebensende selber bestimmen"

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Zur Debatte "Man muss viel früher über den Tod und das Sterben reden" vom 7. Januar:

"Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss es nur verstehen" (Madame Curie). Seitdem ich viele Male dem Tod begegnet bin - familiär und außerfamiliär und an fast allen möglichen Orten - fürchte ich mich nicht mehr davor.

Vielmehr fürchte ich das mögliche "Vorher": eine Intensivstation, in der die diensthabende Schwester nicht auf die Bitte eines Sterbenden eingeht; ein Krankenhaus, das alles nur "Mögliche" ausprobiert, auch wenn der Sterbeprozess bereits eingesetzt hat; eine Privatpflegerin, die eine 92-Jährige - die sich körperlich und geistig nicht mehr wehren kann - mit verbaler Gewalt füttert.

Klar, überall hängen gut bezahlte Arbeitsplätze am "Weiterleben". Aufgrund dieser, meiner letzten, Erfahrung, habe ich meine Patientenverfügung verschärft. Ich habe glücklicherweise auch friedliches Sterben erleben dürfen. Doch was tue ich, wenn niemand da ist, der im Notfall meine Interessen vertritt? "Der Tod, welcher der Hinfälligkeit zuvorkommt, kommt zur besseren Zeit, als der, welcher ihr ein Ende setzt" (Jean de la Bruyère, franz. Moralist).

Tilman Jens' Vater hatte eine Patientenverfügung, die genau das beabsichtigte. Seine Frau, als seine engste Vertraute, hat nicht den Mut aufgebracht, sich daran zu halten. Was tue ich, wenn ich nicht mehr so leben kann, wie ich es will? Wenn ich nicht nur körperlich sterbenskrank wäre, sondern auch wüsste, dass mein Geist dabei ist, sich zu verabschieden? Wenn ich einfach alt, lebensmüde und lebenssatt bin? Wenn der Tod nicht freiwillig und leise kommen will?

Goethe hat einmal sinngemäß gesagt, dass das Schlimmste am Altwerden sei, dass man nicht mehr von Menschen seiner eigenen Generation und denselben Erfahrungen umgeben sei. Muss ich mir, weil mein Geld für eine Reise in die Schweiz, in die Niederlande, nach Belgien nicht reicht, dann eine Brücke suchen um hinunter- oder einen Fluss, um hineinzuspringen? Wasserleichen sind nicht sehr attraktiv. Muss ich einen Lokomotivführer unglücklich machen, weil er mich unfreiwillig überfahren hat? (Und damit so traumatisiert wird, dass er seinen Beruf anschließend nicht mehr ausüben kann? Wie die Meisten, denen ein Freitodwilliger ins Gleis sprang, weil er keine andere Möglichkeit fand?)

Professionelle Sterbehilfe ist in Deutschland seit etwa einem Jahr nach § 217 verboten. Wie kommen Menschen (mir fremde Abgeordnete) dazu, mir mein Lebensende vorzuschreiben? So, wie ich es mir wünsche? Warum soll ich nicht friedlich in (m)einem Bett aus dem Leben gehen und für immer einschlafen dürfen?

Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung befürwortet die Möglichkeit, dass barmherzige Ärzte, die schließlich von Berufs wegen (dank meiner Steuergelder für ihr Studium) wissen, wann nichts mehr Menschenwürdiges geht, zu einem schmerzlosen Tod verhelfen dürften. Demjenigen, der das möchte - auch mir?

Statt noch einmal und noch einmal Antibiotika, Infusionen oder eine aufgezwungene Ernährung. Weil verunsicherte Angehörige unter Druck gesetzt wurde. Jetzt droht stattdessen der Staatsanwalt. Bundesärztekammerpräsident Montgomery sagte auf die Frage, wer denn sonst helfen könne: "Von mir aus soll es der Klempner oder wer auch immer machen. . ." Pfui über diese "Ethik".

Vielleicht braucht es noch mehr solcher mutiger Menschen, wie Tilman Jens, deren Wort in der Öffentlichkeit Beachtung findet. Damit auch bei uns "Die Würde des Menschen unantastbar ist" beziehungsweise wird.