Duale Hochschule Mannheim

"Es geht um die richtige Berufsfähigkeit"

HINTERGRUNDGESPRÄCH: Neue Herausforderungen stehen dem Bildungssystem in Deutschland bevor: zum einen mit der Digitalisierung, aber auch mit steigender Internationalität und der Bindung von Fachkräften. Das Leitungsteam der DHBW Mannheim - Hochschulrek

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Das Studienangebot entwickelt sich in ganz Deutschland dynamisch, und diese Dynamik zieht seit einigen Jahren immer mehr an. Welche Neuerungen haben sich bereits etabliert?

Prof. Dr. Georg Nagler: Diese Entwicklung des Studienangebots kann man positiv, aber auch mit Sorge sehen. Mittlerweile gibt es weit über 10.000 Studiengänge, was natürlich die Frage der Orientierungsmöglichkeit für Studienbewerber deutlich erschwert. Die DHBW insgesamt, aber ebenso wir hier in Mannheim, verfolgen schon einen anderen Weg. Wir wollen passgenaue, aber auch den traditionellen Ausbildungsfeldern entsprechende Studiengänge anbieten, die trotzdem den Raum für Neuentwicklungen offen lassen. Prof. Dr. Jörg Baumgart: Zum Beispiel hat sich zwischen den traditionellen Studiengängen Bank und Versicherung das Thema Finanzdienstleistungen zusätzlich etabliert und hat sich als neue Studienrichtung sehr positiv entwickelt. Mittlerweile gibt es dort einen kompletten Kurs mit mehr als 30 Studierenden, und dank Wachstum können wir sogar mit einem zweiten Kurs beginnen, ohne dass die Studierendenzahlen in Bank und Versicherung zurückgehen. Dieses neue, maßgeschneiderte Angebot hat also tatsächlich dazu geführt, dass wir letztlich zusätzliche Studierende und damit verbunden neue Duale Partner erschließen konnten.

Generell steigt in Deutschland die Zahl der Studierenden, während die der Auszubildenden sinkt. Inwiefern macht sich dieses Gefälle an einer dualen Hochschule bemerkbar?

Nagler: Derzeit pendeln sich unsere Studierendenzahlen auf einem hohen Niveau bei rund 6.300 Studierenden ein. Diese Zahl glauben wir halten zu können, da wir, anders als bei den klassischen Hochschulen, nicht demografieabhängig sind, sondern abhängig von der Zahl der Studienplätze, die die Industrie anbietet. Da ist die Nachfrage sehr gut. Aber man muss auch sagen: Nicht jeder ist für ein duales Studium geeignet und bringt die erforderlichen Einstiegskompetenzen mit. Möglicherweise wäre der ein oder andere in einem klassischen Ausbildungsberuf besser aufgehoben.

Was meinen Sie damit?

Nagler: Diese Frage möchten wir unter anderem mit unseren Vorbereitungskursen ausloten und eine Brücke zwischen Schule und Hochschule schlagen. Die Nachfrage ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Aktuell bauen wir zusätzlich das MINT-Kolleg auf, ein richtiges Erfolgsmodell.

Prof. Dr. Andreas Föhrenbach: Dabei geht es aber nicht nur um Mathe-Nachhilfe, sondern auch um Persönlichkeitsbildung, Orientierung und passgenaue Lehrformen für zunehmend heterogene Studierendengruppen - und das braucht seine Zeit.

Nagler: Der Tempo-Hype, der die Studienlandschaft vor einigen Jahren geprägt hat, hat sich zumindest in manchen Bereichen als echter Fehler erwiesen. Es geht nicht um die schnelle Berufsfähigkeit, es geht um die richtige.

Nach dem richtigen Weg sucht man derzeit auch für den Umgang mit der Flüchtlingssituation. Viele sehen den Bevölkerungszuwachs als Chance, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gibt es seitens der DHBW bereits Ansätze, wie sich potenzielle Fachkräfte, die einen Verbleib in Deutschland anstreben, in die Hochschule integrieren lassen könnten?

Nagler: Basis und Voraussetzung hierfür ist sicherlich generell die Internationalisierung der Hochschule: Die DHBW Mannheim bietet neben den International-Business-Studiengängen jetzt zum Beispiel das Projekt WI-SCI an - das nichts mit unseren Trinkgewohnheiten zu tun hat (lacht), sondern die Abkürzung ist für "Wirtschaftsinformatik Sales & Consulting International". Dort haben wir im vergangenen Jahr eine Studiengruppe eingerichtet, die sich derzeit aus irischen und ungarischen Studierenden zusammensetzt. Pionier-Dualpartner ist hier SAP und die Erfahrung des ersten Studienjahres war überaus positiv. Darin sehen wir eine hervorragende Möglichkeit, ein innovatives Format an den Start zu bringen, um auch erste Erfahrungen mit der Integration von Flüchtlingen zu sammeln. Der Studiendekan Wirtschaftsinformatik, Prof. Dr. Martin wird gemeinsam mit SAP eine erste Gruppe von Flüchtlingen - wir gehen von zehn bis zwölf aus - auswählen, die wir im Laufe dieses Frühsommers integrieren und mit Sprach- und weiterführenden Kursen vorbereiten wollen. Aber es ist sicher nicht ganz trivial, einem jungen Menschen, der nicht unbedingt alle seine Zeugnisse dabei hat, über die Duldung hinaus eine Bleibe für die Studienzeit zu ermöglichen. Das setzt auch viel an Pionier-Elan der Unternehmen voraus.

Stichwort Internationalität. Können Sie schon erste Resümees der in den vergangenen Jahren gestarteten Projekte ziehen?

Nagler: Ja, im Studiengang International Business binational zum Beispiel, den wir mit der Kozminski-Universität in Warschau etabliert haben, konnten wir jetzt auch die Dauphinée-Uni

versität in Paris gewinnen. Und auch die technischen Studiengänge ziehen nach. In der Fakultät Technik zum Beispiel haben wir mittlerweile ein stabiles Programm im Bereich Maschinenbau International. Generell steht und fällt die Internationalität mit dem Bekenntnis unserer dualen Partner dazu, denn der Plan für die internationalen Stationen im Ausland konzentriert sich schwerpunktmäßig auf die Praxisphasen. Aber da sind wir sehr zufrieden. Viele Studierende können während ihres Studiums einen mehrwöchigen Auslandsaufenthalt realisieren.

Föhrenbach: Wunderbar funktionieren auch unsere Studentenprojekte, die immer internationaler werden, zum Beispiel das große Roboter-Fußballteam, die Tigers, die jedes Jahr auf internationalen Wettbewerben unterwegs sind. Internationalität macht eben am meisten Spaß, wenn man tatsächlich daran und damit arbeitet.

Ein wenig das Sorgenkind sind hingegen nach wie vor die MINT-Fächer. Hat die dort gestartete Bewerberbörse angeschlagen?

Föhrenbach: Bei der Bewerberbörse können wir einen sehr schönen Erfolg vermelden. Es konnten bereits sehr viele Verträge darüber vermittelt werden, und das an fast alle beteiligten Firmen. Derzeit sind über 1000 Bewerber und etwa 300 bis 400 Unternehmen online in dieser Datenbank, die aktiv darüber suchen. Im nächsten Schritt planen wir, diese Plattform zu internationalisieren und auf Englisch anzubieten.

Baumgart: Das ist auch ein ganz wichtiger Service, unter anderem für das WI-SCI-Projekt. Denn für kleinere Firmen ist es unglaublich schwierig, im Ausland Kontakte zu knüpfen, um an Studieninteressierte zu gelangen.

Welchen Vorteil sehen Sie für die Studierenden mit Blick auf das Thema Industrie 4.0, auch bezogen darauf, dass die Unternehmen ja auch darauf spezialisierte Fachkräfte benötigen?

Föhrenbach: Die jetzigen Studierenden sind ja die Generation, die digital aufgewachsen ist. Ihre Fähigkeiten müssen mit dem Studium verbunden und in die Professionalität übertragen werden. Wenn wir also jetzt gut ausgebildete Ingenieure oder Wirtschaftsinformatiker lehren, die sowohl Digital Natives sind als auch eine grundständige Ausbildung haben, dann wird das die Generation sein, die die Industrie 4.0 vorantreibt. Ein Ingenieur muss in Zukunft viel interdisziplinärer denken und handeln können. Dazu braucht er Flexibilität, Lernbereitschaft, soziales Engagement.

Baumgart: Dadurch, dass wir die Studierenden entsprechend ausbilden, aber gleichzeitig viele Firmen selbst noch nicht genau wissen, wo ihre Potenziale stecken, haben wir eine wichtige Aufgabe - aber auch Gestaltungsmöglichkeiten. Wir müssen versuchen, auf diesem Gebiet zukunftsorientiert Kompetenzen mitzugeben, die dann von den Absolventen direkt in die Firmen eingebracht werden können.

Thema Hochschulfinanzierung: Vergangenes Jahr wurde der Vertrag zum Solidarpakt III unterzeichnet. Machen sich die neuen Vorgehensweisen nach diesem einen Jahr bereits bemerkbar?

Nagler: Ich bin froh, dass ich damals schon kein überschäumendes Glück versprüht habe, sondern gesagt habe, dass das realitätsgerecht ist und wir noch nicht im akademischen siebten Himmel sind. Das Ministerium hat sich an die Zusage gehalten: Unser Etat wird über die nächsten fünf Jahre jährlich um ein bis 1,5 Prozent steigen. Das große Problem ist allerdings die Umwandlung insbesondere von Mitteln der Qualitätssicherung in Stellenprojekte. Da müssen wir noch Verluste hinnehmen, verhandeln aber intensiv. Zum anderen existiert zwischen den einzelnen Studienakademien ein Finanzierungsgefälle, das wir derzeit in sehr intensiven Verhandlungen zwischen den Studienakademien auszugleichen versuchen. Denn die Stärke einer State-University steht und fällt mit der Fähigkeit, für gleiche Finanzierungsbedingungen zu sorgen. Ich bin da aber Optimist und überzeugt, dass die Konditionen für das Erfolgsmodell der dualen Hochschulen so gestrickt werden, dass wir in Mannheim eine auskömmliche Perspektive haben.

Ein paar abschließende Worte?

Nagler: Für uns im Rektorat war das Jahr 2015 in der Hinsicht auch bemerkenswert, weil wir die Hälfte der Führungsspitze ausgewechselt haben - zwei von vier Mitgliedern sind neu. Die neue Verwaltungsdirektorin Frau Eckert löste Herrn Reichert ab, der als Kanzler an die FH Darmstadt wechselte. Ich glaube, das ist eine sehr verjüngende, aber auch sehr erfrischende Neugestaltung. Wir sind jetzt ein Quartett, mit dem wir gut an die Herausforderungen in den kommenden Jahren herangehen können. Interview: Sonja Utsch

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