Hilfsbereitschaft Die Menschen sollten aufmerksamer durchs Leben gehen

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Alles war für unsere Tochter zum Weihnachtskonzert organisiert: die Kleidung, die Frisur perfekt, zwei geflochtene Zöpfe sollten es für ihren ersten Auftritt sein. Oma und Opa wollten auch dabei sein, sie fuhren pünktlich in Lorsch los. Unser Treffpunkt sollte Rimbach sein, um gemeinsam weiter nach Mörlenbach zu fahren. Es sollte sich jedoch an diesem Abend einiges ändern.

Mein Mann, unsere Tochter und ich fuhren also voller Freude los. In der Kappstraße in Lindenfels, die teilweise sehr steil ist, stand plötzlich ein Auto vor uns. Lautes Gasgeben war nicht zu überhören. Es roch schon extrem nach Autoabgasen. Verzweifelte Versuche, auf der steilen Straße anzufahren, folgten.

Mein Mann hielt unser Fahrzeug an. Was mich sehr erschreckte und ein wenig sprachlos macht: Wir wurden von hinten überholt, und auch der Gegenverkehr nahm keine Rücksicht auf die Situation. Teilweise wurde sogar der Bürgersteig als Fahrbahn benutzt.

Ich stieg aus, ging auf das Fahrzeug zu, klopfte an die Fahrerscheibe und fand einen verzweifelten alten Herrn vor. Mein Mann parkte derweilen um. Wir hatten Bedenken, der Wagen könnte nach hinten rollen und einen Zusammenstoß verursachen. Es stellte sich heraus, dass der Fahrer in dem Auto 91 Jahre alt war und aus Worms kam. Er wusste nicht, dass er sich in Lindenfels befand. Er wollte eigentlich nur einen Adventskranz einkaufen. Unsere Hilfe, sein Auto aus der Steigung wegzufahren, nahm er dankbar an.

Da unsere Tochter pünktlich in Mörlenbach sein sollte, verständigten wir die Polizei. Ein Passant und ich selbst warteten auf die Beamten. Mein Mann fuhr unsere Tochter derweil nach Mörlenbach. Wir wollten ja ihren Auftritt nicht verpassen.

Die Polizei kam sehr schnell und begleitete den orientierungslosen Herrn bis nach Heppenheim. Dort wurde er von seinem Enkel in Empfang genommen, und zurück nach Worms gebracht. Da der Tank seines Autos so gut wie leer war, fuhren die Polizisten sogar noch mit zu einer Tankstelle.

Ich wartete derweil auf die Rückkehr meines Mannes. Wir waren pünktlich beim Auftritt unserer Tochter. Den alten Herrn habe ich am Abend angerufen. Er war bereits von seiner Familie vermisst worden.

Bedanken möchte ich mich bei dem Passanten und der Polizei für ihre Hilfe. Es wäre wünschenswert, wenn die Menschen etwas aufmerksamer durchs Leben gehen würden, und nicht etwa einen verzweifelten Autofahrer - auf dem Bürgersteig - überholten. Dort hätte auch ein Kind laufen können.

Natürlich stellt sich hier auch die Frage, ob man in diesem Alter noch Auto fahren sollte.

Gabi Thiel

Lindenfels

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