Europa Kein Populismus, sondern Ausdruck von Bürgerwillen

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"Betroffenheit über britische Entscheidung", Bergsträßer Anzeiger vom Montag, 27. Juni

Der Vorsitzende der Europa-Union bedauert die Entscheidung der Briten zum Austritt aus der EU, die als "Wertegemeinschaft für Frieden, Freiheit, Solidarität" usw. stehe und sich zu einem "föderalen Bundesstaat" weiter entwickeln wolle. Das Beispiel der Briten sei "verantwortungslos und populistisch" - die üblichen Formeln von Politikern eben. Als ob in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nicht über Jahrzehnte Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa geherrscht hätten, ganz ohne diese EU und ohne die Gemeinschaftswährung des Euro. Darüber hinaus erinnert der Vorsitzende der Europaunion an Winston Churchill, der bereits 1946 die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa forderte, erwähnt aber interessanterweise nicht, dass dieser schon damals die Mitgliedschaft Großbritanniens in diesem Gebilde kategorisch ausschloss.

Mit keinem Wort wird das Demokratie-Defizit erwähnt, das die britischen EU-Gegner immer wieder als Hauptgrund für ihre Entscheidung nennen. Sie wollen sich nicht länger von einer demokratisch nicht legitimierten EU-Kommission regieren und Stück für Stück entsouveränisieren lassen, ohne dass sie als Volk dem jemals zugestimmt haben. Denn das von Steuergeldern hoch bezahlte EU-Parlament erfüllt kaum mehr als eine Alibi-Funktion. Es hat nicht einmal das Recht, ein Gesetz vorzuschlagen. Der bayrische Ministerpräsident Seehofer hat diesen grundlegenden Missstand einmal wie folgt auf den Punkt gebracht: "In der EU haben diejenigen, die gewählt sind, nichts zu sagen, und die, die das Sagen haben, sind nicht gewählt."

Demokratie-Defizite

Wenn es um missliebige Staatschefs wie Assad, Orban oder Putin geht, weisen EU-Eliten sehr schnell auf Demokratie-Defizite als Splitter im Auge des Bruders hin, weigern sich aber, den Balken im eigenen Auge zu erkennen.

Europaweit wächst deswegen das Misstrauen vieler Bürger gegenüber der EU, nicht zuletzt durch Vorstöße wie die von Jean-Claude Juncker und EU-Kommissar Miguel Arias Canete, die den europäischen Nationalstaaten und deren demokratisch gewählten Regierungen in Zukunft vorschreiben wollen, wo sie zu welchen Bedingungen Energielieferverträge abschließen dürfen. Und wenn Juncker dieser Tage versucht, das Handelsabkommen CETA mit Kanada allein auf der Ebene der EU durchzusetzen und die nationalen Parlamente dadurch zu entmündigen, dann gewährt das erschreckende Einblicke in das Demokratie-Verständnis Brüsseler Eurokraten.

Eine Vertragsgemeinschaft

Um was für eine Wertegemeinschaft handelt es sich bei der EU, wenn Demokratie als Grundwert immer wieder in Frage steht und äußerst unterschiedliche Auffassungen bestehen bezüglich kultureller Identität, Zuwanderung und dem solidarischen Umgang mit Problemen und Krisen? Die EU ist eine Vertragsgemeinschaft, die aus der ehemaligen EWG hervorgegangen ist und maßgeblich auf den Verträgen von Maastricht und Lissabon basiert. Deren Regelungen aber sind, wenn es darauf ankommt, oft nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Man denke nur an die sogenannte "No-Bail-Out-Klausel", die gewährleisten sollte, dass kein Mitgliedsstaat für die Schulden eines anderen zu haften hätte. Im Mai 2010 wurde sie ohne viel Aufhebens außer Kraft gesetzt, als es politisch opportun erschien. Ähnliches gilt für die Regelungen zum Schutz der Außengrenzen der EU.

Und was genau meint der Vorsitzende der Europa-Union, wenn er betont, die EU "wolle" sich zu einem "föderalen Bundesstaat" weiterentwickeln? Wer in der EU will das? Wer hat darüber den Souverän, nämlich die Völker Europas, die das notwendige Staatsvolk bilden müssten, befragt?

Wenn Menschen in allen Teilen Europas sich angesichts solcher Überlegungen Sorgen um ihre demokratischen Mitbestimmungsrechte machen und wie die Briten die Kontrolle über ihr Land zurückgewinnen wollen, ist das weder verantwortungslos noch populistisch, sondern als demokratische Selbstverständlichkeit zu respektieren. Wer dieser Brüsseler EU seine Zustimmung versagt, ist damit noch lange kein Europafeind. Im Gegenteil kann man sich sehr wohl eine anders organisierte Einigung Europas vorstellen, nämlich einen demokratisch legitimierten Staatenbund statt eines zentralistisch regierten Bundesstaates. Ein Europa der Vaterländer, wie Adenauer und de Gaulle es einst formuliert hatten.

Dr. Peter Zehfuß

Einhausen