Arbeitsmarkt - Mindestlohn sollte für alle Arbeitnehmer gelten Wertschätzung als Alibifloskel

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CDU-Politiker fordern, dass der Mindestlohn für Flüchtlinge ausgesetzt wird, war eine Schlagzeile, die in der Regierung für Aufregung und Streit sorgte.

Und wenn man so manche Diskussionen verfolgt, kommt einem schon der Verdacht, dass die "externen Fachkräfte" vor allem deswegen so herbeigesehnt werden, um bei uns das Lohnniveau zu drücken. Nehmen wir zum Beispiel die Logistikbranche, wo deutsche Fahrer zu Hause sitzen und ich mich im Betrieb mit Fahrern herumschlagen muss, mit denen ich mich in vier (!) Sprachen nicht verständigen kann, weil die bloß "Bahnhof" - also sprich Russisch, Bulgarisch, Rumänisch etc. - verstehen.

Es ist also kein (reines) Flüchtlingsthema und man muss aufpassen, dass man auf das üble Spiel (Inländer gegen Ausländer) nicht hereinfällt und darf sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Das tut zum Teil die Politik, aber auch die Arbeitgeberseite, denn die "Ethik" in den Chefetagen vieler Firmen sieht für mich folgendermaßen aus:

Das Wort "Wertschätzung" gilt es zwar in Sonntagsreden und Talkshows zu artikulieren und würde es in die Praxis umgesetzt, hätten wir so manche Probleme nicht. Stattdessen herrscht dort aber eine "Turbo-Geringschätzungsmentalität" gegenüber den Arbeitnehmern - mit dem Hintergedanken, wem es nicht passt, der muss wissen, draußen stehen die Leute Schlange auf den Job. Eine verheerende Einstellung und auf lange Sicht gesehen, eine teure obendrein!

Da hat eine junge Dame beispielsweise eine hervorragende Ausbildung im DKFZ Heidelberg genossen, die sie mit Bravour abgeschlossen hat. Es wurden danach wegen Übernahme große Versprechungen gemacht, diese aber nicht gehalten, sondern man hat versucht, sie mit Zeitverträgen (Halbjahresverträgen) abzuspeisen. Der Schuss ging nach hinten los. Sie lebt nun schon seit Jahren in Stockholm, wurde dort (nach einer kurzen Probezeit) von ihrem neuen Arbeitgeber - dem "Karolinska" mit Handkuss genommen und erhielt sofort einen unbefristeten Arbeitsvertrag und das nicht nur, weil sie Kenntnisse hat, die dort außer ihr sonst niemand hat, sondern das scheint mir eher eine Mentalitätssache.

Wie dreist ausgeprägt - oder besser gesagt - welch "krankhaftes Erscheinungsbild" die Mentalität manch deutscher Arbeitgeber hat, sieht man daran, dass man aus dem DKFZ etwa drei Jahre später an die junge Dame mit einer Anfrage auf Rückkehr herangetreten ist. Dies hat sie dankend abgelehnt. Nicht nur, weil man ihr wieder nur einen Zeitvertrag und in Relation wesentlich weniger Geld geboten hat, sondern weil Wertschätzung hierzulande mittlerweile zu einer Alibifloskel verkommen ist. Und so ähnlich sieht es in vielen deutschen Unternehmen aus.

Die scheinheiligen Krokodilstränen über den angeblichen Fachkräftemangel können sich unsere Arbeitgeber also sonst wo hinstecken!

Herbert Semsch, Brühl

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