Lebensader Oberrhein - Die bisherige Monokultur hat es seltenen Arten schwer gemacht / Leinenpflicht für Hunde gibt es seit 20 Jahren Der Nabu macht es genau richtig

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Zum Leserbrief "Nabu muss raus aus dem Wald" vom 18. Februar werden uns folgende beiden Leserbriefe geschrieben:

Natürlich gehört die Natur allen, und natürlich brauchen wir Menschen Wälder zur Erholung. Auch mir tut es leid um jeden gefällten Baum. Soweit ist sicher schnell Einigung zu erzielen. Es geht nur um die Frage des "wo?", denn der Platz ist knapp. Der Nabu ist auch nicht irgendein Verein, der irgendetwas zerstört, sondern eine Naturschutzorganisation, die in enger Zusammenarbeit mit anderen Naturschutzverbänden, mit Behörden und Verwaltung, mit Wissenschaft, Fachleuten und vor allem mit einer Vielzahl von engagierten Menschen wichtige Projekte umsetzt.

Der nördliche Oberrhein wurde als ein Hotspot der Artenvielfalt von insgesamt 30 in Deutschland bestimmt. Das Projekt Lebensader Oberrhein ist damit von nationaler Bedeutung, wissenschaftlich begleitet und professionell organisiert. Es geht hier um weit mehr als ein paar Bäume und fröhliche Kaninchen. Der Erhalt der biologischen Vielfalt und das Bewahren dieses grandiosen Erbes ist unser aller Aufgabe und wir sollten alle dem Nabu dankbar sein, dass er hier diese wichtigen Projekte leitet.

Anders als im tropischen Regenwald, ist die Natur in Mitteleuropa von ständigem Wandel geprägt. Vor zirka 10 000 Jahren geht die letzte große Eiszeit zu Ende. Sie hatte alles zerstört. Geröll, Sand und Wüste wurde langsam von der Natur zurück erobert. 5000 vor Christus war ganz Europa weitgehend ein Buchenwald. Sicher schön, aber auch nicht sehr artenreich. Frühe Siedlungen ziehen den Wäldern, ihren Rohstoffquellen hinterher, und beginnen damit die Landschaft zu prägen. Vor zirka 2000 Jahren beschreibt Tacitus Germanien, und er meinte damit sicher auch den Oberrhein, als "ein Land bedeckt von schrecklichen Wäldern und abscheulichen Sümpfen". Nach der großen Völkerwanderung, um 1500, nach einer langen Periode der Rodungen, ist vom Wald nur noch wenig übrig geblieben. Erst jetzt bilden Siedlungen und Wald eine Struktur, wie wir sie heute kennen.

Erste Forstordnungen dienen dazu, den knappen Wald zu schonen und zu erhalten. Aber immer noch sind weite Gebiete des Landes kahl. Es gibt magere Wiesen und karge Felder. Doch der Wald stabilisiert sich und wird gepflegt. Forstwirtschaft, Landwirtschaft, aber auch immer noch Raubbau und Naturkatastrophen, prägen die Natur. Um zirka 1850 gab es wahrscheinlich in Mitteleuropa die größte Artenvielfalt. Die Natur hielt unzählige Habitate bereit, in denen sich eine enorme Vielfalt an Lebensformen wohl fühlte.

Mit der Industrialisierung und der weiteren Optimierung von Flächennutzung sind seitdem unzählige Habitate verloren gegangen. Auch wenn der Natur- und Artenschutz Fortschritte gemacht hat, so findet doch gerade in den letzten Jahrzehnten ein dramatischer Verlust von Arten statt. Die bisherigen Konzepte konnten den Verlust nicht einmal bremsen, geschweige denn aufhalten. Eine Überdüngung des ganzen Landes, eine Nutzung, die keinen Quadratmeter mehr frei lässt, und eine falsche Vorstellung, dass grüne Flächen und Bäume mit intakter Natur gleichzusetzen sind, sind die Hauptursachen für den Verlust der Arten.

Lange Zeit wurde geglaubt, dass man nur naturnahe Ökolandwirtschaft betreiben müsse, um all die Nischen und verschwunden Arten zurück zu holen. Aber das ist es gerade nicht. Die seltensten Arten kommen heute schon lange nicht mehr in Naturschutzgebieten vor, sondern in Industriebrachen, im Tagebau und auf Truppenübungsplätzen. Genau dort, wo eine Landschaft existiert, die bestimmte Arten über Jahrhunderte in Mitteleuropa vorfanden. Karge, magere Flächen, die sich im Sommer schnell und stark erwärmen, und die vor allem immer wieder von Vegetation befreit werden. Sei es damals durch Raubbau und Naturkatastrophen oder heute durch schwere Maschinen.

Die große Flächenknappheit zwingt uns alle, genau darüber nachzudenken, was wir wo machen. Der Nabu macht im Hirschacker genau das Richtige. Vielen Dank!

Nikolaus Eberhardt, Ketsch

Eine seltsame Forderung

Nabu raus aus dem Wald! Raus aus unserem Wald! - Eine seltsam anmutende Forderung, ist der Naturschutzbund doch Eigentümer eines großen Teils des Hirschackerwalds. Die Nabu-Stiftung Nationales Naturerbe verwaltet die Flächen, die von besonderem naturschatzfachlichem Wert sind, und schützt dort seltene Tier- und Pflanzenarten. Auch wenn es derzeit so überhaupt nicht danach aussieht.

Eigentümer oder nicht, es gelten für den Nabu die gleichen Regeln wie für alle anderen Besucher des Gebiets, nämlich die vom Regierungspräsidium Karlsruhe 1994 erlassene Verordnung für das Naturschutzgebiet "Hirschacker und Dossenwald", die es unter anderem untersagt, die Wege zu verlassen, Feuer zu entfachen oder Hunde frei laufen zu lassen. Die Leinenpflicht innerhalb des Naturschutzgebiets besteht seit über 20 Jahren und hat nichts mit dem Projekt Lebensader Oberrhein oder dem Nabu zu tun.

Die Eingriffe im Hirschackerwald, die durchaus zu einer "Verwüstung" der Landschaft geführt haben, finden nicht willkürlich vom Nabu initiiert statt, sondern sind Teil eines jahrelang geplanten Projekts, das gefördert wird vom Bundesamt für Naturschutz (Bundesprogramm für Biologische Vielfalt). Jeder einzelne Schritt muss durch das Regierungspräsidium Karlsruhe genehmigt und fachlich begleitet werden.

Es geht um den Erhalt der Biodiversität, um die Artenvielfalt in der Natur. Sandrasenbiotope gehören zu den seltensten und wertvollsten Lebensräumen, die wir in Baden-Württemberg haben. Auch europaweit stehen sie unter besonderem Schutz. Wenn wie im Hirschackerwald auf dem seltenen Sandboden vom Menschen angepflanzte Kiefern in Reih' und Glied stehen, kann sich weder Unterwuchs noch Sandtrockenrasen entwickeln. Nur wenige Tierarten fühlen sich in einer solchen Monokultur wohl.

Was jetzt wirklich wild aussieht, wird in zwei oder drei Jahren neuen Lebensraum bieten für die Spezialisten, die auf freien Sandboden mit seinen extremen Umweltbedingungen angewiesen sind: die Sandlaufkäfer mit ihren langen Beinen, die sie gerade weit genug vom heißen Sandboden abheben, um auch 60 Grad Celsius Oberflächentemperatur überstehen zu können; die einst so häufigen pelzigen Sandstrohblumen, deren Blüten so aromatisch duften; die Ameisenlöwen, die am Grunde ihrer Trichter sitzend auf Beutetiere lauern, die auf den Sandkörnern ins Rutschen und direkt in ihre Fänge geraten; die Duftende Skabiose, für deren Erhalt und Schutz Deutschland eine besondere Verantwortung trägt; die Wildbienen, die ihre Nestgänge in den lockeren Sandboden graben; das Heidekraut, das während seiner Blüte ganze Abschnitte des Hirschackerwalds in einen wunderbar warmen Rotton taucht.

Vielleicht kehren durch die Aufwertung des Gebiets sogar Vogelarten wie Steinschmätzer, Heidelerche und Wiedehopf zurück in den Hirschackerwald - ich persönlich würde es mir sehr wünschen, und nehme dafür gerne ein paar Monate lang scheinbare Zerstörung und schlechte Wege in Kauf.

Cindy Weidner, Schwetzingen

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