Rücktritt des Bundespräsidenten - Wie das Verhalten von Christian Wulff bewertet wird und was Leser daraus für die Eurokrise schließen Wenn zuviel Luxus arm macht

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Drei Monate blockierte die Causa Wulff das politische Tagesgeschäft und selbst am Ende zeigt sich Merkel lange beratungsresistent. "Bis in den Iden des März entscheidet sich nicht nur das Schicksal Griechenlands, sondern auch das von Christian Wulff, denn ein Präsident, der am seidenen Faden der Bild-Zeitung baumelt, ist untragbar" - stand am Ende meines Leserbriefes "Präsident auf Bild-Niveau" im Januar.

Was den "mea-culpa-Präsidenten" angeht, ist dies eingetreten und um den 15. März - also in den Iden - rächt sich, dass wir zwei Jahre "Eulen nach Athen getragen" - also Geld aus dem Fenster vor die Füße der Finanzbrut geschmissen haben.

"Dass bei uns soziale Einrichtungen schließen, oder Menschen um ihre Lebens-Ernte betrogen werden, weil Milliarden von Steuergeldern in alle Richtungen davon fliegen, finden immer weniger lustig" - begann ich meinen Leserbrief "Eulen nach Athen tragen" im April 2010. Auch Dirk Müller (Mr. Dax) sprach kürzlich bei Anne Will von zwei vergeudeten Jahren und einer desolaten Sparpolitik, die die ohnehin schwache griechische Wirtschaft abwürgt.

Er war wie ich schockiert von Anne Wills TV-Beitrag über das Schicksal einer griechischen Mutter, die zu ihrem Kind nur einmal im Monat Kontakt hat: Weil ihr durch das Spardiktat der EU nicht mehr genug zum Leben bleibt, sah sie keine andere Lösung, als es in einem SOS-Kinderdorf abzugeben.

Und so gibt es viele Schicksale dort und die einzigen die sich lachend auf die Schenkel klopfen, sind Gläubiger und Zocker, denn die bekommen die Milliarden und nicht das griechische Volk, welches von seiner "Elite" ähnlich verschaukelt wird, wie dies in anderen Ländern auch passiert. Als ich so alt war, wie heute meine Kinder, hat es keine Tafelläden oder Aktionen wie "Brotzeit" gebraucht, damit Menschen über die Runden kommen.

Deutschland war damals nicht so reich wie heute, die Menschen hatten weniger Luxus und waren trotzdem "reicher". Kann es sein, dass damals das Wohl von vielen schwerer wog als die Gier weniger? Und heute? Einige wenige bestimmen zur Befriedung ihrer Gier, wie die Masse zu ticken und zu funktionieren hat. Oder glauben sie wirklich, dass Menschen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen, über ihre Verhältnisse leben?

Ich sehe die Welt im Würgegriff von Finanzterroristen, die Menschen - ja ganze Staaten und deren gesunde Realwirtschaft in Geiselhaft nehmen und vor sich hertreiben.

Wenn die Politik diesem Treiben nicht endlich Einhalt gebietet, werden wir in vielen Ländern - auch bei uns - Bürgerkriegsszenarien erleben, wie sie Marianne Schneider im letzten Leserforum über Griechenland ausgeführt hat.

Herbert Semsch, Brühl

Durchaus gut beraten?

Wer sagt denn, dass Christian Wulff keine guten Berater gehabt hätte? Das Gegenteil könnte richtig sein! Als schlecht beratener Präsident wäre er nach dem ersten oder zweiten Vorwurf zurückgetreten, etwa um Respekt und Würde des Amtes nicht zu beschädigen. Das wären jedoch "persönliche Gründe" gewesen, die finanziell für ihn auf eine "Nullnummer" hinausgelaufen wären. Saß er deshalb die Sache - wohl ahnend, was da noch kommen könnte - erst einmal aus und ließ das Fass langsam voll laufen? Es brodelte und gärte ja wochenlang in den Schlagzeilen, ein Abend ohne eine "Wulff-Show" war kaum noch vorstellbar. Die Staatsanwaltschaft brachte schließlich dieses Fass zum Überlaufen. Dann - nach den quälend langen 50 Tagen - erklärte Wulff, dass es ihm "auf Grund der Vorgänge in letzter Zeit" nicht mehr möglich sei, sein Amt so auszuüben, "wie es notwendig sei" und erklärte seinen Rücktritt. Damit war sein Rücktritt "politischer" und nicht "persönlicher" Natur. Die Folge: Fälligkeit des "Ehrensoldes".

Nun zur Rechenaufgabe: Nach der Statistik wird ein Mann im Schnitt 77 Jahre alt. Christian Wulff ist jetzt 52. Dann verbleiben ihm noch 25 Jahre - statistisch. Pro Jahr bekommt er "Ehrensold" in Höhe von 199 000 Euro. Bis an sein (statistisches) Lebensende 4 957 000 Euro. Frauen leben statistisch 82 Jahre. Seine Ehefrau Bettina ist 38 Jahre. Sofern sie ihn überlebt, bekommt sie nach sehr komplizierten "Witwen- und Waisenregeln" weiter Ehrensold, vermutlich in einer Größenordnung von 55 Prozent des Ruhegehalts des Verstorbenen - Fachleute wissen es genauer. Die in 50 Tagen gereiften "politischen Gründe" summieren sich auf das erkleckliche Sümmchen von über 5 Millionen Euro - 100 000 pro Tag.

Also jetzt eine Neiddebatte? Nein. Aber nachdenken darüber darf man schon. Vor Jahren beklagte man in der Politik lautstark den "goldenen Handschlag" für Abfindungen in der Wirtschaft trotz Misserfolgs - am bekanntesten der Fall "Esser" bei Mannesmann. Hart ans Leder wollte man diesen skandalösen Abzockern, sogar von gesetzlichen Beschränkungen war die Rede. Ist alles anders, wenn es um einen aus den eigenen Reihen geht? Und: was passiert mit einem im normalen Leben beruflich Gescheiterten? Nach einem Jahr fortdauernder Erfolglosigkeit landet er in "Hartz IV" - wenn alles weg ist. Heißt die Devise des Gesetzgebers hier einmal mehr "Wasser predigen und Wein trinken"? Die Eheleute Wulff stehen mit 52 und 38 Jahren in der Blüte ihres Arbeitslebens. Als ausgebildeter Rechtsanwalt - ein ehrenwerter Beruf - könnte Christian Wulff bis zu seinem Rentenalter (dann greifen seine Pensionsansprüche) sich und seine Familie angemessen ernähren. Seiner Ehefrau Bettina wird die Arbeit als PR-Managerin auch nicht verboten. Was - so die ganz bescheidene Frage - stünde denn einem solchen Leben entgegen?

Rudolf Berger, Hockenheim

Schmählicher Abgang

Wulf ist abgetreten, genau so, wie er die letzten Monate amtiert hat - ohne Einsicht. Auch noch im Abgang beharrte er darauf, er habe sich nichts vorzuwerfen.

Kanzlerin Merkel zeigte auch nach Wulffs schmählichem Ende nicht die Spur von Einsicht. Wulff war ihr Kandidat. Als Demonstration ihrer Macht hatte sie ihn durchgedrückt gegen den besseren Joachim Gauck und gegen die Mehrheit ihres Volkes. Als hätte sie mit dieser eklatanten Fehlentscheidung nicht den Staat, das Ansehen der Politik und das höchste Amt schlimm beschädigt, hielt sie noch nach Wulffs Abgang eine Laudatio auf den Gescheiterten: Sie bezeuge dem Staatsoberhaupt größten Respekt. Dies war lächerlich und überflüssig, die Mehrheit denkt da anders. Und mit Wulff im Schloss Bellevue versorgte Frau Merkel einen lästigen innerparteilichen Rivalen und konnte gleichzeitig der Opposition mit deren Kandidaten Gauck eins auswischen. Es ging der Kanzlerin keinesfalls um das Wohl des Volkes, sondern es regierte reines Machtkalkül und politischer Egoismus.

In ihrem Amtseid hat Angela Merkel geschworen, "dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden" werde. Zweimal - mit Köhler und Wulff - hat sie dieses Versprechen nicht gehalten. Wenn das höchste Amt so dem Machterhalt der Regierung unterliegt, sollte die Wahlprozedur geändert werden! Wann kommt eine Direktwahl des Bundespräsidenten?

Berthold Flad, Schwetzingen

Herr Wulff war nur der Anfang!?

Endlich ist dieser Lügner und Betrüger weg vom Fenster. Das ist ja eine Frechheit, was der uns alles angelogen hat. Und dann immer diese Verharmlosung seinerseits, er habe das Hotel danach bar bezahlt - alles war nur freundschaftlich gemeint, er hatte keine Vorteile. Alles nur Quatsch. Wenn man es ganz offen und ehrlich aussprechen will, was da abgegangen ist, dann gibt es dafür nur eine Bezeichnung, die heißt "Bestechung", aber bei solchen Gestalten wird davon nicht gesprochen, nur bei denen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen.

Dem gehören alle Bezüge gestrichen, alle. Das volle Programm an Bestrafung. Sowas hat unser Volk und unser Land vertreten? Und unsere Politiker, vor allem Kanzlerin Merkel ist empört über die Machenschaften und das Verhalten ausländischer Politiker. Wo sind bitteschön unsere besser? Merkel redet immer alles schön und ist auch noch im Amt. Ihr schadet Deutschland nur, bitte gehen auch Sie, Frau Merkel, es ist nicht mehr vertretbar, was sie hier treiben. Hoffentlich picken die, die Herrn Wulff auffliegen haben lassen, auch den Rest der schwarzen Schafe raus. Wulff war nicht der Erste und nicht der Letzte. Vorbilder sind dies nicht, eher eine Schande! Und wir, das normale Volk, werden aufgerufen zu sparen, zu spenden und fair miteinander umzugehen. Macht solchen machtgeilen Menschen, die nur an sich denken, ein Ende.

Frank Bayer, Brühl

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