Bildungspolitik - Gedanken eines langjährigen Rektors zum Thema Unterricht und Corona-Pandemie / Lösungsansätze aufgezeigt Das Schuljahr verlängern

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Überall im Land machen sich die Eltern derzeit große Sorgen wegen der Frage, wie es schulisch mit ihren Kindern nach den Sommerferien weitergehen soll. Vorausgesetzt, dass die Corona-Pandemie uns keinen Strich durch die Rechnung macht, wäre folgender Vorschlag für die nahe Zukunft von den zuständigen Gremien zu prüfen: Der Unterrichtsstoff eines halben Schuljahres (2020) blieb Corona-bedingt unerledigt. Deshalb sollte das Schuljahr 2019/20 um ein halbes Jahr verlängert werden – das Schuljahresende wäre dann im Frühjahr 2021.

Dadurch hätten Schüler und Lehrer genügend Zeit, ohne Hektik die zwangsläufig entstandenen Bildungslücken zu schließen, eine „standfeste Lernbrücke“ für die Zukunft wäre gebaut. Eine verrückte Idee werden manche denken, aber „außergewöhnliche Situationen erfordern eben außergewöhnliche Maßnahmen“.

Aufgrund der Corona-Situation wurden alle Schülerinnen und Schüler durch eine Sonderregelung des Kultusministeriums in die nächsthöhere Klasse versetzt. Das Land Baden-Württemberg hat den insgesamt 1,5 Millionen Schülerinnen und Schülern freiwillige Sommerkurse, sogenannte Lernbrücken, angeboten. Die Reaktion auf dieses Angebot fiel recht dürftig aus. Nur 61500 haben sich dafür interessiert und angemeldet.

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass der Lehrstoff der nächsthöheren Klasse zusammen mit den unerledigten Aufgaben des Vorjahres für die Jungen und Mädchen eine nicht zu bewältigende unzumutbare Überbelastung darstellen würde.

Zu den gültigen Bildungsplänen muss ebenfalls etwas festgestellt werden: Die sogenannten Kerncurricula (von der Schulbehörde festgelegte Stoffvorgaben, die verbindlich sind und 75 Prozent des Pensums ausmachen) bilden die Grundlage des Unterrichts. Den einzelnen Schulen bleiben 25 Prozent, über die sie jeweils nach ihren Schwerpunkten frei verfügen können.

Nach Behördenmeinung können diese 25 Prozent entfallen! Dies ist eine eigenartige, vielleicht sogar entwürdigende Einstellung den einzelnen Schulen gegenüber, wo doch jede unserer Bildungsstätten stolz auf ihre Schwerpunkte ist und sich der Öffentlichkeit präsentiert – unter anderem durch Konzerte des Schulorchesters, Theateraufführungen oder Sportveranstaltungen.

Vielleicht könnte man die Kerncurricula nochmals großzügigerweise ins Visier nehmen und auf das eine oder andere verzichten, und das zugunsten der jeweiligen Schülerschaften und des Kollegiums.

Es bleibt uns allen zu hoffen, dass die zuständigen Kultusminister für unsere Schuljugend auch in Zukunft die richtigen, bestmöglichen Entscheidungen treffen.

Nachwort: Als Schüler des damaligen Realgymnasiums Schwetzingen (Unterstufe) hatten wir in den Jahren 1944 bis 1946 gegen ähnliche Bildungslücken wie die heutigen Schüler zu kämpfen, allerdings unter anderen Gegebenheiten. Die Westfront kam von Frankreich her immer näher. Mit Hilfe der folgenden Stichworte möge sich der Leser ein Bild von den damaligen Verhältnissen machen: Fliegeralarm, zwei bis drei Stunden Unterrichtsausfall, wir mussten uns im Keller aufhalten, das Ganze zwei- oder dreimal pro Woche, unsere Schule war die heutige Südstadtschule, sie wurde zum Notlazarett umfunktioniert, ab sofort wurden wir im Nebenzimmer einer Wirtschaft unterrichtet. Eisige Kälte, jeder behielt seinen Mantel an, es gab keine Tafel, keine Kreide, Stühle fehlten, einige mussten stehen. Bücher wurden streng verboten. Die Lehrer waren alte pensionierte Männer und Frauen. Jetzt können Sie sich ein Bild machen, unter welchen Bedingungen wir unterrichtet wurden.

Wir haben uns durch die Misere hindurchgekämpft. Wir haben uns nachmittags in kleinen Gruppen getroffen – gegenseitig geholfen. Wer in Mathe gut war, führte in diesem Fach das Wort – nicht ich. Doch das gelang mir in Englisch. Nach relativ kurzer Zeit waren die größten der Schwachstellen virtuell ausgeglichen. Insgesamt ein zufriedenstellender Erfolg. Ein weiterer positiver Effekt der Nachmittagstreffen war, dass sich aus dem Interessentenkreis einige dauerhafte Freundschaften entwickelten.

Walter Bährle, Schwetzingen

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