Schulsystem - Die Dreigliederung wurde mutwillig politisch zerstört / Das Handwerk muss jetzt die Folgen dafür tragen / Nicht jeder junge Mensch muss studieren Der Hauptschullehrer reibt sich die Augen

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Erstaunt reibt sich der alte Hauptschullehrer die Augen: Aus dem Kultusministerium in Stuttgart säuselt es positiv zur Hauptschule! Die Hauptschule, Prügelknabe seit den 1970er Jahren und politisch faktisch abgeschafft, soll so schlecht gar nicht gewesen sein (SZ vom 11. Dezember). Gehen wir doch einen Schritt zurück in die Zeit vor 1980: Die Gesamtschülerzahl war etwa gedrittelt: jeweils grob ein Drittel auf die Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium verteilt. Ausgewählt durch das Aufnahmeverfahren während der 4. Grundschulklasse, das landesweit einheitlich war. Danach wurde den Eltern mitgeteilt, welche Schulart für ihr Kind angemessen erschien.

Die meisten Eltern vertrauten der Urteilskraft der Lehrer, denn sie, die eine ganze Klasse vor sich haben, können am besten die Fähigkeiten der Kinder im direkten Vergleich beurteilen und weniger die Eltern, die ja zwangsläufig nur ihr eigenes Kind im Blick haben können. Dann änderte sich mit der Einführung des Schulgesetzes 1976 die Lage: alle schulischen Entscheidungen waren nun rechtlich überprüfbar und das Recht der Eltern wurde vehement gestärkt. Die Einflußnahme auf schulische Entwicklungen hob an. Bildungstheoretiker aller Couleur traten überall auf und verkündeten gebetsmühlenhaft neue Heilsbotschaften, denen viele Eltern auf den Leim gingen, zumal, wenn suggeriert wurde, dass allen Kindern der Weg zu Abitur und Universität geebnet werden könne und müsse.

Ein markantes Beispiel bot dafür die 1984 eingeführte Hauptschulabschlussprüfung. Überboten sich anfangs manche Schüler im Prüfungsablauf noch an Ideenreichtum, wie ihr ausgewähltes Fachgebiet bestmöglich präsentiert werden konnte (noch ohne Laptop, aber mit selbst hergestellten Materialien), war schon ab den 1990er Jahren eine zunehmende Verflachung der Themen und Präsentationen zu beobachten. Die Prüfungsleistungen gingen zurück, bis sie in der ersten Jahren des neuen Jahrtausends nur noch billiger Abklatsch einer Prüfungssituation darstellten.

Das aufkommende Internet führte dazu, dass Schüler zur Prüfung stapelweise Informationen ungeprüft und unsortiert ausdruckten, von den Inhalten keine Ahnung hatten und glaubten, dies sei ausreichend. Zum Schluss wusste man als Prüfer oft nicht, wie man die Schüler durch die Prüfung bringen sollte, so miserabel waren die Leistungen, die zudem noch völlig lustlos vorgetragen wurden. Erinnern wir uns noch einmal etwas weiter zurück: Die Abgänger der Hauptschulen waren lange Zeit als Lehrlinge und Gesellen die Garanten für ein Fortbestehen und Blühen des Handwerks! Unser Schulsystem ließ keinen zurück, immer gab es die Möglichkeit der Weiterqualifizierung zum Meister, ja gelegentlich sogar zum Studium!

Niemand musste zurückbleiben, wenn er die Eignung, Fleiß und die Ausdauer besaß! Und das hatte auch in den seltensten Fällen etwas mit der familiären Herkunft zu tun: auch Arbeiterkindern stand bei entsprechender Eignung der Weg zur Weiterqualifizierung offen, was ja von den selbst ernannten „Bildungsexperten kraft eigener Einbildung“ bis heute in Frage gestellt wird. Als es dann in fast allen Köpfen angekommen war, dass Schaffen eine Arbeit ist, dass man sich auch mal die Hände schmutzig machen muss und statt des weißen Kittels den Blaumann bei der Arbeit trug; als auch die alte Weisheit „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ noch in der Bevölkerung verankert war, da klappte das mit dem handwerklichen Nachwuchs ganz gut.

Wenn heute das Handwerk keine Auszubildenden mehr bekommt, dann liegt das auch daran, dass ein großer Teil der Jugendlichen sich auf weiterführenden Schulen, Kollegs und ähnlichem abquält und vielfach auch dort scheitert – wenn nicht durch Downnivellierung jedem das Abiturzeugnis geradezu nachgeworfen wird. Und es liegt vor allem daran, dass diejenigen, die sich dennoch auf die vielen freien Ausbildungsplätze bewerben, von so schlechter schulischer Qualität sind, dass kein Lehrherr die Möglichkeit einer soliden Ausbildung auch nur ansatzweise sieht! Wenn absehbar ist, dass die Berufsschule eine nahezu unüberbrückbare Hürde wegen der schwachen Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen darstellt – bleibt eigentlich nur die Möglichkeit des Handlangers und das ist ja nun wahrlich keine Perspektive fürs Leben.

Die oft tonangebenden Schaumschläger im Schulsystem, die neue Schularten hochpreisen, lügen sich in die eigene Tasche, weil ihre Schüler doch nicht in der Arbeitswelt Fuß fassen können. Diese Schüler können vielleicht etwas am Laptop präsentieren, aber von sinnerfülltem Lesen, fehlerfreiem Schreiben oder gar Dreisatz, Bruchrechnen und den Grundrechenarten haben sie auch mit fortgeschrittener Schulzeit wenig Ahnung. Es ist dem Kultusministerium zu wünschen, dass die Einsicht obsiegt, dass hier ein Gegensteuern notwendig ist.

Die politisch gewollte weitgehende Abschaffung der Sonderschulen (bis auf wenige Ausnahmen) gehört ebenso zu den eklatanten Missgriffen der Vergangenheit wie der gewollte Niedergang der Hauptschulen. Wer einmal in den 1980er Jahren beim Unterrichtsbesuch gesehen hat, wie mit kleinen Sonderschul-Abschlussklassen ohne einengenden Lehrplan erfolgreich Geometrie gemacht wurde, einfach und mit viel Sorgfalt durch erfahrene Sonderschullehrkräfte, dem vermittelte sich durchaus ein positives Bild eines funktionierenden Schulsystems, das ohne Not aufgegeben wurde.

Natürlich sind auch die Anforderungen in den Handwerksberufen gewachsen und ohne Elektronik und Digitalisierung nicht mehr denkbar, aber bessere Schulabgänger würden auch in den Berufsschulen mit höheren Anforderungen besser zurechtkommen. Und dann könnte man vielleicht sein Auto oder das Elektrogerät nach der Reparatur wieder ohne Sorge aus der Werkstatt abholen, weil man wüsste, dass dort von gut ausgebildeten und verantwortungsbewussten Mitarbeitern daran gearbeitet worden wäre.

Dies gilt für alle Handwerksbranchen, jedes Handwerk hat da seine eigenen Erfahrungen. Großunternehmen wie ein Chemiekonzern wissen schon, wie sie über ein hochqualifiziertes Auswahlverfahren geeignete junge Leute für die Ausbildung findet. Und nochmals reibt sich der alte Hauptschullehrer angesichts der Engelstöne aus dem Ministerium die Augen: „Geschehen doch noch Zeichen und Wunder?“

Ulrich Kobelke, Plankstadt

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