Krise - Was Corona in Deutschland an den Tag bringt: Betroffenheit, Mitgefühl, Würde und Vertrauen Der Wissenschaft trauen

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Eine seltsame Katastrophe bedroht die Europäer: still, ohne Aufsehen, im Sonnenschein und den ersten verblühenden Frühlingsboten. Frankreich nennt sie einen medizinischen Tsunami.

Seit Corona die Welt in seinen Klauen hat, beschäftigen sich Zeitungen und Fernsehen über kein Thema mehr als dieses Virus. Allabendlich strahlen ARD und ZDF Sondersendungen aus und lange Debatten bis in die späten Nachtstunden hinein.

Das freilich gäbe es nicht ohne hohe „Quoten“, ohne unsere Betroffenheit. In einer Mischung aus Angst, Mitgefühl und – geben wir es zu – Sensationslust verfolgen wir Berichte aus überfüllten Krankenhäusern und Altenheimen, mit Ärzten und Ärztinnen sowie Pflegern und Pflegerinnen „am Anschlag“ – und mit fehlender Schutzkleidung.

Dabei lassen wir uns gerne bestätigen, dass wir bisher glimpflich davongekommen sind. Zwar haben hunderttausende Unternehmen ihren Betrieb eingestellt und Millionen Beschäftigte heimgeschickt – aber nur in Kurzarbeit und nicht entlassen wie in den USA. Zur weit verbreiteten Zufriedenheit trägt auch bei, dass wir – erst? – wenig Infizierte zu registrieren haben. Bei den Toten liegen wir gar nur im Hundertstelbereich eines Promilles. Bezogen auf ihre Bevölkerungszahl beklagen Frankreich, Spanien und Italien zehn- bis zwanzigmal mehr Opfer. Darüber sprechen wir zwar nicht, es hilft uns aber, unsere anfangs erkennbaren, egoistisch-abwehrenden Reflexe zu überwinden. Wir sind froh, dass wir unseren Nachbarn helfen dürfen, und nehmen inzwischen gelassen Schwerkranke auf, wie wir auch mit den härter Getroffenen bereitwillig Masken und Schutzkleidung teilen.

Zu unserer inneren Ruhe tragen auch unsere Regierenden bei. Anstatt abzuwiegeln, warnen sie seit Beginn der Pandemie, das Schlimmste werde noch kommen, obwohl die Spannen der Verdoppelung bei den Infektionszahlen ständig länger werden. Das erinnert an Wettervorhersagen. Seit einigen Jahren neigen deutsche Meteorologen dazu, eher zu viel als zu wenig Warndreiecke auf ihre Karten zu setzen. Man würde das eine vorsichtige, ängstliche, konservative Sichtweise nennen – getragen vom Wunsch, keine falschen Hoffnungen zu wecken.

Dies entspricht auch den weithin identischen Meinungen der Wissenschaftler, Virologen und Epidemiologen. Sie bekennen sich selbst zu ihrem eigenen Nichtwissen, fahren „auf Sicht“ wie vorsichtige Autofahrer im Nebel und haben sich auf diese Weise die Zustimmung der Bürger erarbeitet und erhalten.

Wenn sich dieses Vertrauen vom Gesundheitssektor auf die Klimaforschung übertragen würde, wäre das nur zu begrüßen. Es käme dann dem Kampf um die Erhaltung des menschlichen Lebens auf der Erde zugute.

Helmut Mehrer, Brühl