Pandemie - Gedanken sind frei, sie helfen uns, zu lernen und unsere Situation jederzeit neu zu interpretieren Die Lehre der Gelassenheit

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Manchmal kann ein Blick in die Vergangenheit helfen, unsere Gegenwart nicht allzu novemberdüster erscheinen zu lassen. Das Leben war schon immer lebens-gefährlich und vielleicht lässt sich dieser merkwürdigen Auszeit doch noch eine positive Seite abgewinnen. Jammern und hadern bringt jedenfalls nichts, Panikreaktionen auch nichts. Wäre es nicht besser, den Kopf frei zu bekommen für mehr Gelassenheit? Ein prominenter Vertreter der Lehre der Gelassenheit, der Stoa, war der römische Philosoph Seneca (1-65 n. Chr.). Für ihn als Stoiker galt: Ein wahrer Erfolg ist ein innerer Erfolg. Was um ihn herum passierte, nahm er möglichst gelassen hin. Was würde uns Seneca heute für den Umgang mit der Pandemie raten?

Vermutlich Folgendes:

Lamentieren hilft nichts. Das Virus wird sich davon nicht beeindrucken lassen. Es gibt Dinge auf der Welt, die sich ändern lassen und andere, die sich unserem Willen widersetzen. Also tun wir, was wir können (Regeln und Vorschriften einhalten, Schnuffelfilter tragen und so weiter), ignorieren aber den unkontrollierbaren Rest.

Die einfache Einsicht zulassen, dass man als Nichtfachmensch nicht schlauer sein kann als all die Experten. Besserwisserei und ständiges Gerede, Fallzahlen, Prognosen ändern nichts am Verlauf des Geschehens. Ein Stoiker hätte Nützlicheres zu tun, als sich mit Meinungen und Expertenstreit zu befassen.

Haltet Abstand zum negativ besetzen Corona-Thema, sowohl praktisch als auch im übertragenen Sinn. Distanz bringt die Erkenntnis. Es gibt nichts Neues auf der Welt. Frühere Generationen haben weit Schlimmeres überstanden. Seit die Menschen vor etwa 5000 Jahren die Schrift erfanden, berichten sie über Kriege, Hungersnöte, Krankheiten, Naturkatastrophen und alle möglichen Plagen. Verglichen damit und mit den heutigen Möglichkeiten von Medizin und Technik sind die Monate der Corona-Einschränkungen für Gesunde ein lästiges Übel, für Erkrankte kein Grund zur Panik. Wir befinden uns nicht am Ende aller Tage.

Auf viele unserer Lebensgrundlagen hatten wir keinen oder nur wenig Einfluss. Unsere Gene bestimmen größtenteils unsere Intelligenz, das Elternhaus die Persönlichkeit und Weltsicht, die Gesellschaft unsere Lebensführung und Beruf. Lebensglück oder -pech, Erfolg oder Misserfolg sind häufig zufallsabhängig.

Stoiker riefen sich täglich in Erinnerung, dass sie endlich sind. Sie versuchten, die Angst durch Seelenruhe zu ersetzen. Der Tod gehört zum Leben, er ist unvermeidlich. Tag und Stunde kennt keiner. Aber unsere Generation hat besser gelebt als alle unsere Vorfahren. Nutzen wir die knappe Restlebenszeit, um sinnvoll zu leben.

Die Qualität unseres Lebens hängt maßgeblich von der Qualität unserer Gedanken ab. Gedanken sind frei, sie helfen uns, zu lernen und unsere Situation jederzeit neu zu interpretieren.

Seneca musste wegen einer politischen Intrige acht Jahre auf der unwirtlichen Insel Korsika in der Verbannung leben. Er nutzte die erzwungene Auszeit zur Gedankenarbeit und Vervollkommnung seiner Philosophie. Das Fehlen von Alltagsgeschäften führte ihn zu Kontemplation und Konzentration auf das Wesentliche.

Sein Leben endete dennoch tragisch, denn sein entarteter Zögling Nero befahl ihm nach seiner Rückkehr nach Rom die Selbsttötung. Senecas Gedanken aber lebten weiter. Der Philosophenkaiser Marc Aurel, Vertreter der jüngeren Stoa, meinte 100 Jahre später in seinen „Selbstbetrachtungen“: „Keine andere Grundlage des Lebens ist zum philosophieren so günstig wie die, in der du dich jetzt befindest.“

Winfried Wolf, Plankstadt

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