Alkoholsucht - Arbeitsdruck und Leistungsanforderungen treiben gut situierte wie nicht so gut situierte Menschen in einen Teufelskreis Ein Symptom für die Suche nach Glück

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In einem Artikel der SZ vom 23. August wird über einen Report der AOK berichtet, in dem das Problem der Alkoholsucht am Arbeitsplatz behandelt wird.

In einem kurzen Satz wird dabei auch erwähnt, dass der Arbeitsdruck und Leistungsanforderungen "häufig" mitverantwortlich dafür seien. Die Gründe dafür werden in dem Zeitungsartikel aber nicht analysiert.

Wie viele aus eigener Erfahrung wissen, wirkt Alkohol in geringen Dosen entspannend und beruhigend. Deshalb gibt es viele Menschen, die abends zu Alkohol greifen und damit den stressigen Alltag vergessen wollen.

Dies machen sowohl Besserverdienende, um sich von den täglichen Leistungsanforderungen herunter zu holen, wie auch die nicht so gut situierten, im Extremfall arbeitslosen, die wenig oder gar keinen Erfolg in ihrem Leben verbuchen können, um ihre Situation zu vergessen.

Was oftmals daraus wird, wissen die Ärzte, Kliniken und Krankenkassen, wenn diese Menschen im Laufe der Jahre immer mehr trinken und von Alkohol abhängig geworden sind und die Krankenkassen Millionen Euro für Entzugsprogramme ausgeben müssen.

Zu betonen ist, dass es gerade auch solche trifft, die zwar geldlichen und gesellschaftlichen Erfolg haben, aber, weil sie ständig "unter Strom" stehen und in nächtelanger Arbeit nur mit Alkohol oder anderen aufputschenden Substanzen ihre Arbeit leisten können, davon abhängig werden.

Immer mehr zu leisten ist die Forderung unserer Gesellschaft, sonst ist man "arm dran" - bis dann der Zusammenbruch kommt, weil man aus dem erlernten Teufelskreis nicht mehr herauskommt. Auch unsere Kinder und Jugendlichen werden oft in Familie und Schule schon in dieses Leistungsschema gepresst, wenn auch moderne Pädagogen inzwischen beginnen umzudenken.

Mehr Arbeitskräfte, mehr Gesunde

Sucht und psychische Krankheiten sind, wie heute nicht nur die Fachleute wissen, typische Krankheiten unserer Gesellschaft, insbesondere wegen ständiger Überforderungen.

Die Forderungen an die Arbeitnehmer werden vor allem damit begründet, dass die Firmen rationalisieren "müssen" damit zum Beispiel die Dividenden für die Aktionäre maximiert werden können. Rationalisierung heißt Entlassung derjenigen, die man irgendwie entbehren kann und deren Arbeit, die übrig gebliebenen übernehmen.

Wohin diese Leistungs-, immer billiger- und Gewinnmaximierungs-Mentalität führt, sehen wir gerade am Beispiel des Mainzer Hauptbahnhofs, der auch wegen Krankheit fast den ganzen Betrieb einstellen musste, was unsere Gesellschaft wieder Unsummen gekostet hat, weil sich die Menschen Ausweichmöglichkeiten suchen mussten.

Oder am Schwetzinger Schlossplatz und den Kleinen Planken: Die Behörden müssen den billigsten Anbieter nehmen - es darf nicht darauf geachtet werden, welche Qualität die Arbeit einer Firma oder das Material hat. Folge: Kosten, die nicht geplant waren, gerichtliche Auseinandersetzungen, die alle Beteiligten belasten. Der ehemalige Minister zu Guttenberg hat sich damals wegen der Plagiatsvorwürfe bei seiner Doktorarbeit mit "zu hoher Arbeitsbelastung" entschuldigt. Also: Auch in der Wissenschaft leidet deshalb die Qualität. Man könnte reihenweise solcher Beispiele aufzählen.

Würde man beispielsweise mehr Mitarbeiter einstellen, die dann nicht mehr so gestresst wären, hätte man weniger Arbeitslose, mehr gesunde Mitarbeiter und mehr Menschen, die dann ordentlich bezahlt würden. Gleichzeitig könnten die überlasteten Gutverdiener etwas kürzertreten und dafür etwas weniger Lohn erhalten, mit dem sie aber dennoch gut leben könnten.

Es gibt inzwischen mehrere wirtschaftlich-gesellschaftliche Modelle, welche den derzeitigen Zustand in eine bessere, menschlich wärmere Struktur bringen würden. Die materiellen Voraussetzungen sind allemal vorhanden. Es müsste nur von Bürgern und Politikern gewollt sein, die das jahrzehntelang nicht mehr gelernt und gelebt haben. Aber diejenigen, welche für entschleunigte statt noch intensivere Arbeit sind, werden eher als fortschrittsfeindlich, faul und unrealistisch verachtet, obwohl viele Psychologen und Soziologen seit Jahren darauf hinweisen, dass Lebensqualität mehr ist, als immer mehr erreichen zu wollen.

Auch neueste internationale Untersuchungen zeigen, dass das "Glück" von Menschen lange nicht allein vom materiellen Wohlstand abhängt, sondern von einer seelischen Lebensqualität, die Zufriedenheit und nicht streben nach noch mehr in den Vordergrund stellt.

Hans Odoj, Schwetzingen

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