Altenpflege - Die Angehörigen zu Hause besser unterstützen statt die teuren Heimplätze immer als die beste Lösung anzupreisen Es geht zu Lasten der Pflegekräfte

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Lieber Herr Schneider, zu Ihrem Artikel aus der Ausgabe vom 11. August möchte ich ein Dankeschön aussprechen. Wie recht Sie haben, denn mir reicht es auch. Keiner hat Ahnung, wenn er nicht selbst aus der Materie kommt oder mit einem Pflegefall zu Hause betroffen ist, dem man versprochen hat, für ihn da zu sein. Ich kann es nicht mehr hören, wenn Leute sagen: „Du, wäre es nicht einfacher, ihn ins Heim zu geben?“ Und schon habe ich zwei Engel in meinem Kopf der eine sagt: „Ja, recht hat er.“ Und der andere sagt: „Nein, Du weißt, welch katastrophalen Verhältnisse herrschen. Wenn Du ein Herz hast, tu es nicht.“

Ich habe seit 2002 meinen Vater in seiner Wohnung, mehrere Schlaganfälle trafen ihn, der erste mit knapp 67 Jahren. Damals schon rannten alle mir die Türen ein, jeder wollte ihn für sein Heim. Hier ging es doch um einen Menschen, der wirklich noch die Chance hatte, wieder am Leben teilnehmen zu können. Es ist unfassbar, hier waren plötzlich Gelder möglich, um einen Heimplatz zu besetzen. Nein, das wollte ich alleine deswegen nicht, da mir die Zustände bekannt waren. Das ständige Gerede: „Das schaffst Du nicht.“ Das kenne ich zur Genüge, mit Hilfe und Fleiß war er bald wieder an sein Zuhause gewohnt. Ständige Belehrungen braucht niemand.

Schnabeltasse, Sprechübungen, Bewegungsübungen – aber alleine dem Menschen eine Freude zu schenken, indem man ihn anlächelt – das kann kein Heim ersetzen. Die Heime sind überlastet, die Pflegerinnen am Ende und hier sollte man ansetzen. Mit welchem Recht verdienen die Unternehmen daran? Es sind keine Plätze mehr da, dann machen wir halt Doppelbelegung, keine Pfleger und trotzdem stoßen die sich immer noch gesund.

Zur Zeit bin fast täglich beschäftigt, um ein weiteres persönliches Budget durchzubringen, hier Kopien, hier Gespräche, hier dies, hier das. Wir konnten zwei Jahre davon profitieren. Jetzt ist mein Vater 83 , fast bettlägerig. Nur noch mit einem Lifter kann er aus dem Bett in den Rollstuhl gehievt werden. Auch hier waren bereits Pfleger bei der Wundversorgung überfordert und Leute, die keine Ahnung haben, füllen Lücken, die gelernte Kräfte hinterlassen, weil sie am Ende sind mit ihren Kräften. Es ist unfassbar und traurig, wie unsere älteren Menschen zusätzlich zu ihren Krankheiten leiden müssen – und wie sich Angehörige von Ämtern behandeln lassen müssen.

Mein aktueller Stand: „Also das Budget können wir so nicht weiterzahlen, geben Sie ihn doch ins Heim.“ Bei meinem Blick hätte sie das lieber doch nicht gesagt haben wollen, aber dann kam ja noch der Satz: „Sie sind ja völlig überlastet.“ Ja, natürlich sind wir überfordert. Und warum uns da keiner zur Seite steht? Ab ins Heim dann sind ja alle Sorgen erledigt? Nein, gar nichts ist erledigt, was soll denn erledigt sein? Auch dort gibt’s ständige Fragen: „Haben Sie dies beantragt oder Sie können noch dies beantragen?“

Ich habe derzeit Pflegerinnen, die bei einer Firma beschäftigt sind und aus Ungarn kommen, alles abgestimmt mit der Behörde. Seit zwei Jahren haben wir umgestellt, da ich für dieses Geld keinen angemessenen Pflegedienst vor Ort bekommen konnte. Ab und an, gebe ich zu, gibt es Aufregung. Sie sind mit dem Herz dabei, doch das Gesetz für das persönliche Budget erlaubt es, nicht für die sogenannte „persönliche Assistenz“ Fahrtkosten zu erstatten, damit sie nach Deutschland kommen können und wieder nach Hause. Nein, dafür darf es nicht gezahlt werden, dabei bedeutet es doch, das Geld ist dafür zu verwenden, um die Lebensqualität zu sichern. Ich finde, das ist eine sehr verwirrende Aussage. Wenn man jemand hat, der der alles tut, damit der Mensch sich trotz Krankheit einigermaßen wohlfühlt, bedeutet das für mich Lebensqualität.

Leider bezahlen die Firmen, die sie einstellen, das Fahrtgeld nicht angemessen, sondern sie sind dazu verpflichtet, aus ihrem geringen Lohn dies zu begleichen. Da kann man schon eine Wut bekommen, ganz so, wie Sie, Herr Schneider, mit den Heimkosten. Wenn wir wüssten, was da alles abgerechnet wird. Oder die ambulanten Pflegedienste – da wird doch auch alles schön bezahlt, hat ja keiner wirklich die Kontrolle darüber. Ich habe es selbst erlebt. Oder es werden Positionen wie Kreuzworträtsel oder stundenlange Telefonate, das Sonnen auf dem Liegestuhl abgerechnet. Oder das tägliche Rasieren , obwohl er trotzdem einen Bart hat wie bei ZZ Top.

Nein, so kann es nicht weitergehen, das bringt uns nichts. Hier wird schnell verdient – zu Lasten der Pflegekräfte. Verdienen tun immer die, die nichts tun. Ebenso auch die Hersteller der Psychopharmaka. Da stimme ich Ihnen völlig zu, das ist eine Zumutung, aber eine erleichternde Arbeit. Es sagt ja niemand, dass keiner was an einer Sache verdienen darf, aber dann bitte nicht auf Kosten der Pflegebedürftigen.

Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sollen gewinnbringend sein, die Überschüsse investieren und weitergeben – also in einen Kreislauf fließen lassen. Aber wer es noch nicht miterlebt hat, kann nicht mitreden. Ich finde auch unsere Pflichtbeiträge kommen nicht da an, wo sie gebraucht werden. Oder doch? Vielleicht sollte man eine GmbH gründen, dann bleibt das Geld und geht nicht an den Endverbraucher, der nichts dafür tut. Das ist meine persönliche Meinung.

Sabine Englert, Schwetzingen

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