Zustand der Werde - Klima und Erdatmosphäre lassen sich nur in einem allgemeinen Frieden retten Gesellschaft ist überfordert

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Unsere deutsche Gesellschaft ist überfordert – die Staatenwelt aber auch. Zwei heiße Sommer mit Spitzentemperaturen fast wie in der Sahara haben Deutschland aufgeschreckt und die Umweltschützer mutiger gemacht. Der Wandel hatte zaghaft im Herbst 2018 eingesetzt. Mit „Fridays for Future“ (FFF) hatte eine 15-jährige Schwedin Schüler zu Streiks aufgerufen. Sie sollten an Freitagnachmittagen auf die Straße gehen, Schulstrafen riskieren, um zu zeigen, wie sehr der Temperaturanstieg das Leben auf der Erde bedroht.

Doch die deutsche Gesellschaft folgte diesen Aufrufen eher zögerlich. Nach ihren Erfahrungen waren Fortschritte beim Umweltschutz von mühsamen Verhandlungen begleitet. Wo Arbeitsplätze und die „schwarze Null“ gefährdet waren, diese populäre Verpflichtung, im Staatshaushalt Einnahmen und Ausgaben auszugleichen, schüttelte eine breite Mehrheit den Kopf. Vielen war außerdem das „Gehacke“ zuwider, das sich Umweltaktivisten, Gewerkschaften, Stromproduzenten, der Bund und betroffene Länder und Gemeinden lieferten.

Und dann kam Greta Thunberg. Wenn auch später als in Nachbarländern, etwa ab Januar 2019, fasste ihre Aktion in Deutschland Fuß und breitete sich langsam aus. Erst in großen, ab dem Sommer auch in kleineren Städten. Wiederholt zeigte Angela Merkel ihr Verständnis für die jungen Leute, deren Enkel das Ende des 21. Jahrhunderts erleben wollen. In der Botschaft vom 24. Juli erklärte sie, die jungen Leuten hätten sie „dazu gebracht … entschlossener an die Sache heranzugehen“.

Schon bevor die Kanzlerin Stellung bezog, war die Bedrohung des Klimas auf die Tagesordnung aller Parteien gelangt, die sich nun zu ihren halb verdrängten „grünen“ Programmpunkten bekannten. Als hätte ein Zauberstab alles verändert, schien es nun möglich, Erwartungen zu korrigieren und konkrete Entscheidungen zu überprüfen. Im ARD Deutschlandtrend 1/2019 sprachen sich 71 Prozent der Befragten für höhere Flugpreise aus, wohl in der Erwartung, dass durch eine Kerosinsteuer umweltschonende Bahnreisen attraktiver würden. Viele erklärten auch, sie wollten nicht mehr fliegen, um ihren „ökologischen Fußabdruck“ zu verringern. Ebenfalls wurden die Stimmen derer hörbarer, die forderten, das auf 2038 festgesetzte Ende der Braunkohleförderung vorzuziehen. Es wuchs gar eine Bereitschaft, die schwarze Null zu opfern.

Bei diesem Meinungswandel scheint Eines überraschend: Er verlief ganz ohne Streit und Aufregung ab. Das fällt besonders auf, wenn man ihn mit den Straßenkämpfen der 1968er Revolution und den hitzigen Emotionen der frühen 1980er Jahren vergleicht, als die Friedensbewegung gegen die „Nachrüstung“ demonstrierte. Die jungen Leute von FFF stimmen sich mit den Wissenschaften ab, wo Debatten in einem „akademischen Klima“ ablaufen. Und sie suchen wie in Deutschland und Frankreich die Nähe der demokratischen Regierungen.

Im Sinn des Klimas klingt das erfreulich. Aber wie viel Wirkung wird FFF entfalten? Umweltverbände und Vertreter der Wissenschaften freuen sich über Unterstützer. Doch wie weit reicht deren Einfluss? Wohl nicht über die EU-Staaten hinaus, die sich schon mit der Klimaveränderung befassen. Dort kann ein höheres Engagement den Ausschlag zugunsten der Umwelt bewirken. Im Weltmaßstab bildet die EU zwar eine Insel des Friedens, die Freiheit, Demokratie und Menschenwürde schützt. Sie grenzt aber an ein weites Kriegsgebiet von Kaschmir bis Nigeria, das von Terrorgruppen wie Taliban, IS und Boko Haram verunsichert wird – und im Osten von Diktatoren: Xi Jinping, der Hongkong bedroht, Putin, der die Krim besetzt hat und Erdogan, der irakische Kurden einverleiben will.

Wenn es läuft wie in Deutschland, werden die FFF umso erfolgreicher, je eindeutiger, schlimmer und rascher die Welt vom Klimawandel ergriffen wird. Dann könnte auch der Tag kommen, an dem sich Studenten in China und Hongkong friedlich zusammentun.

Helmut Mehrer, Brühl