Fußball-Nationalmannschaft - Ausbootung von Müller, Hummels und Boateng ist ein Beispiel für die Arroganz des Trainers und der Verbandsspitze Jogi Löws Paukenschlag eine Fehleinschätzung?

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Löw hat die sportliche Zukunft drei sehr verdienter Nationalspieler im Stile eines kalten, herz- und charakterlosen Hire-and-Fire-Kapitalisten abgewickelt: in Fünf-Minuten-Gesprächen ohne ehrlichen Blickkontakt, wenn man den Augenzeugen- und Presseberichten vertrauen darf. Stilloser geht es für einen Bundestrainer kaum mehr. Von ehrlicher Wertschätzung keine Spur.

Löws Vorgehensweise ist nicht untypisch für eine DFB-Führung, die die Nationalmannschaft unter der Ägide eines Golden-Goal-Managers zu einem „Produkt“ hat entwickeln wollen, mit dem vor allem Geld gemacht werden sollte. Bereits Sepp Maiers „Verabschiedung“ über die Presse im Jahre 2004 war ein Menetekel für die Entwicklung einer Führungskultur, bei der die sportlichen Verdienste einzelner Spieler offensichtlich genauso wenig zählen dürfen, wie die Spieler selbst, als Menschen mit ihren eigenen Charakteren, echte Typen also.

Vielmehr haben sie in der Gleichförmigkeit spröder Produktplatzierung eines „Teams“ zu verschwinden. Die Relegation Kahns zum Ersatztorhüter (2006) und die Ausbootung Ballacks (2010) fügen sich in dieses Bild ein. Einem Jupp Heynckes oder Otto Rehagel wäre so viel hartherzige, selbstsüchtige Feigheit wohl nie zuzutrauen gewesen.

Müller, Hummels und Boateng schließlich hätten gewiss nicht über die üblichen Kommunikationskanäle so reagiert wie sie es getan haben, wenn sie von Löws Verhalten nicht so enttäuscht gewesen wären. Auf Lukas Podolski, spätestens nach der EM 2012 sportlich nur noch ein clownhafter Mitläufer, wollte Löw trotz Alternativen dagegen nie verzichten. Auch dies passt zu Löws stillosem Umgang mit selbstbewussten und intelligenteren Spielern.

Der Bundestrainer, nach der WM 2014 an Arroganz und Selbstherrlichkeit kaum zu überbieten, hat sich in der Affäre um Özil und Gündogan inkonsequent und politisch äußerst tumb verhalten. Seine Kurzsichtigkeit machte ihn zu einem deutschen Trainer-Michel der besonderen Art. Nicht willens über den DFB-Tellerrand hinauszuschauen und das süße Gift eines gemeinhin zumeist verschwurbelten Integrationsdiskurses verkennend, war er sich der politisch-sozialen Tragweite seines Trainer-Amtes überhaupt nicht be-wusst. Im Gegenteil: Nur so erklärt sich, dass er par ordre de mufti den Rest der „Mannschaft“ unhinterfragt auffordern durfte, Mitspieler in Gänze zu akzeptieren, die sich mit einem Anti-Demokraten gefallsüchtig ablichten lassen und, wie im Falle Özils, seit 2014 einen deutlichen Leistungsabfall verzeichneten.

Frank-Walter Steinmeiers gut gemeinter, aber schlecht inszenierter Wiedergutmachungsversuch in Form einer Einladung verrückte die DFB-Welt vollends, in der sich Jugendliche eigentlich an vernünftigen Verhaltensnormen orientieren können sollten: Özil und Gündogan erschienen im Schloss Bellevue in legerer Alltagskleidung, so als ob sie „mal kurz zur nächsten Tanke“ führen, um sich „halt mal was“ zu kaufen. So viel zum Anstand gegenüber dem höchsten politischen Amt in der Bundesrepublik Deutschland. Karl Lagerfelds Jogginghosen lassen grüßen.

Der Verzicht auf Leroy Sané bei der WM 2018 war ein weiteres Vorzeichen für die folgenreichen Fehleinschätzungen Löws. Daneben war sich Löw vor der WM 2018 auch zu fein gewesen, sich mit der taktischen Ausrichtung und der individuellen Stärke des ersten WM-Gruppengegners Mexiko gebührlich auseinanderzusetzen, denn man hatte sich ja schon den Standort fürs Halbfinale und Endspiel ausgesucht. „Respekt“ gegenüber dem Gegner? – erneut Fehlanzeige.

Löw, Sorg, Bierhoff und Grindel haben mit ihrem charakterlosen Verhalten der Befindlichkeit junger Spieler und womöglich der Grundhaltung zukünftiger Generationen gegenüber der Nationalmannschaft, die nicht nur sportlich Fußball-Deutschlands Aushängeschild Nummer Eins sein sollte, einen Bärendienst erwiesen, der als schwere Hypothek auf der künftigen Mannschaft lasten könnte. Auch wenn es triftige sportliche Gründe gibt, langfristig auf die drei Spieler zu verzichten, hat der DFB, allen voran Löw, einmal mehr ein menschliches Armutszeugnis über sich ausgestellt.

Bleibt zu hoffen, dass sich der DHB Gleiches nie anmaßt. Denn vom Kampfesmut und selbstdisziplinierten Einsatzwillen, wie ihn die Handball-Nationalmannschaft in den letzten Turnieren an den Tag legte, kann sich so mancher DFB-Spieler, auf den Löw in Zukunft so sehr setzen möchte, mehr als eine Scheibe abschneiden.

Müller, Boateng und Hummels in den angestrengten Verjüngungsprozess konstruktiv einzubinden, das wäre sinnstiftend und gegebenenfalls wegweisend geworden. Immerhin, nach der EM 2020 sind die Münchner erst Anfang 30 und könnten sowohl für die vorübergehende Unterstützung der nachrückenden Generation innerhalb der Mannschaft als auch für ein paar Joker-Tore immer noch gut genug sein.

Hans Schreiner sen., Oftersheim