Bildung in Baden-Württemberg - Misere durch VERA-8-Studie erneut belegt / Schulen haben kein Handhabe zum Gegensteuern Leistungsprinzip zurückgefahren

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Leserbrief zum Artikel „Eine Tüte heiße Luft“ (SZ, Freitag, 27. April, Seite 14):

Die gerade vorgelegte Bildungsstudie VERA 8 (diesmal standen die 8. Klassen im Focus der Untersuchung) zeigt in erschreckender Eindeutigkeit die Defizite unserer Schüler in den grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Ein Aufschrei geht durch die Medien, der „pädagogische alte Hasen“ nur noch müde und resigniert lächeln lässt, denn alles war vorhersehbar. Eine ideologisch verblendete Bildungspolitik auch im Musterländle führte zur heutigen Misere. Nach und nach wurden in unserem dreigliedrigen Schulsystem das Leistungsprinzip vom ersten Tag des Schulbesuchs an zurückgefahren und das Feld freiwillig den pädagogischen Schaumschlägern und selbsternannten Bildungsexperten überlassen. Ein überbordendes Elternrecht tat ein Übriges, es schmierte den Eltern Honig ums Maul und gab ihnen Handhaben bis weit hinein in die tägliche Unterrichtsgestaltung an die Hand – verunsicherte und verängstigte Lehrer waren die Folge. „Zuckerli“ wie Sprüche „Sie sind die Experten für ihre Kinder“ verschleiern stark, dass Eltern faktisch nur ihr Kind im Blick haben können, der Lehrer aber mit 25 bis 30 Kindern einen viel umfassenderen Überblick und objektive Vergleichsmöglichkeiten hat. Wohlgemerkt, das dreigliedrige Schulsystem war durchaus auch reformbedürftig, aber systematisches und politisch gewolltes Schlechtreden und brachiales Abschaffen war der falsche Weg!

Statt aufbauend systematisch tagtäglich die Kulturtechniken zu erlernen und vor allem mit der unbedingt erforderlichen Ruhe einzuüben, wurden Grundschüler angehalten, thematische Präsentationen anzufertigen und Buchbesprechungen zu erstellen – als Zusatzstoff durchaus auch gut vertretbar und dem frühen Sprachvermögen dienlich, aber zu welchem Preis?

Da wurde in Grundschul-Elternabenden in dämlichem neurobiologischen Dilettantismus über die unterschiedliche Arbeitsweise rechter und linker Gehirnhälften schwadroniert und den rechten Wasserkonsum der Kinder während der Unterrichtszeit fast zur Religion erhoben, statt den Wert einer gediegenen Rechtschreibung, der Lesefertigkeit und fundierter Rechenkenntnisse für die Zukunft der Kinder an erste Stelle zu setzen. Von der erforderlichen Zeit für das Einüben sozialer Verhaltensweisen soll hier gar nicht gesprochen werden, denn diese konnten nicht mehr bei allen Kindern vorausgesetzt werden.

Die heutigen Ergebnisse der VERA-8-Studie fallen nicht vom Himmel und sie waren schon längst zu erahnen. Die Frage nach dem ausgebliebenen frühen Aufschrei der Lehrerschaft ist einfach zu beantworten: Mahner und Warner wurden desavouiert und mundtot gemacht, indem sie als „Nestbeschmutzer“ kaltgestellt und von vorgesetzten Dienststellen und natürlich von den bereits erwähnten pädagogischen Schaumschlägern gemaßregelt wurden.

Den Schulen wurden im Zuge der Abschaffung des Leistungsprinzips nach und nach alle Handhaben zum Gegensteuern entzogen. Was wollen sie auch mit einem Neuntklässler anfangen und wie ist der zu motivieren, der auf den Hinweis des Lehrers auf seinen künftigen beruflichen Weg nur die Antwort hat „Was wollen Sie denn, Hartz IV langt mir!“

Wenn in der Grundschule die Schülerantwort „2 x 2 = 5“ von der Lehrerantwort „Sehr gut, aber vielleicht hat noch jemand eine bessere Lösung?“ begleitet wird – dann fällt einem dazu nichts mehr ein!

Da ist es kein Wunder, dass selbst Schulleiterstellen an Grundschulen im Land mangels Bewerbungen nicht mehr besetzt werden können, denn wer möchte diesen steinigen Weg noch beschreiten, wenn zum Beispiel in den Regelklassen immer mehr Schüler als schwächste Glieder in der Kette sitzen, die in den politisch ungeliebten Förderschulen wesentlich besser aufs Leben vorbereitet werden könnten als sich in der Regelschule ständig nur frustrierende Niederlagen einzuhandeln?

Abgeschaffte Förderschulen und weniger Sonderschullehrer kosten das Land weniger Geld – Basta! Und wenn das dann ideologisch noch richtig verbrämt wird, glauben letztendlich auch die Eltern an die Richtigkeit dieser Entscheidung!

Machen wir uns nichts vor: Wenn jetzt schnelle Eingreifprogramme und weitere Modellversuche gefordert werden, die das Land bildungspolitisch wieder weiter nach vorn bringen, dann ist gewiss, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis sich da ein spürbarer und messbarer Erfolg einstellen wird. Viel zu schwer und zu lang war der Zug, der über falsch gestellte Weichen gerollt ist!

Ulrich Kobelke, Plankstadt