Reiserschnittgarten - Es geht nicht nur um alte Obstsorten sondern auch um Rentabilität Nicht ernst genommen

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Ich verfolgte die Sitzung des Hockenheimer Gemeinderates am 28. November. Dass das Thema Reiserschnittgarten viele Hockenheimer Bürger bewegt, zeigte der überfüllte Ratssaal. Die Stimmung war aufgeladen. Dazu trug sicherlich die Haltung der Vertreter der Grünen Landesregierung bei. Mir ging es wohl wie den meisten Anwesenden, die sich des Gefühls nicht erwehren konnten, dass hier von Anfang an nicht mit offenen Karten gespielt wurde. Der Eindruck verstärkte sich, als NABU-Vorsitzender Andreas Diebold einen Einwurf anbrachte und die Aussage des Vertreters des Landes, Dr. Hauck, korrigierte.

Zudem wurden die vom Gemeinderat gestellten Fragen umständlich und ausholend beantwortet, selbst dort, wo ein klares "Ja" oder "Nein" angezeigt gewesen wäre. Die Bürger wurden nicht ernst genommen. Trotz Dementi der Vertreter des Landes entstand im Saal der Eindruck, dass das Ergebnis bereits feststeht.

Im Foyer setze sich die erhitzte Debatte fort. Die Betreiber der GmbH verstanden nicht so richtig, dass die Hockenheimer dem Vorhaben ablehnend gegenüberstehen, weil man doch "erhalten" will. Auf meine Frage an Frau Frey von der Reiserschnitt GmbH, ob es tatsächlich nur darum gehe, alte kulturell bedeutende Obstsorten zu erhalten und auf meine Bedenken, dass man damit sicherlich keine Rentabilität erzielen könne, räumte Frau Frey ein, dass auch solche Reiser gezogen werden, die dem heutigen Konsumverhalten beziehungsweise der Geschmacksrichtung des Käufers entsprächen. Natürlich ist das, von betriebswirtschaftlicher Seite aus betrachtet, verständlich.

Enttäuschend war auch, dass man die Trauer einer Anwohnerin um ihre Obstbäume und Rosenholzgewächse im Garten, die bei Durchsetzung des Vorhabens entfernt werden müssen, nicht ernst nahm und sinngemäß abtat mit: "Was sind schon die drei Bäume?" Tja, andererseits appelliert man an die Hockenheimer, wie wichtig es ist, Bäume auf längere Sicht zu erhalten, andererseits sind sie im Wege, wenn sie nicht ins Programm passen.

Ich scheine auch eine der ersten Aussagen der GmbH nicht richtig gelesen oder verstanden zu haben. Denn auf meine Frage an Frau Frey, wie viel Protest es bedarf, bis man sich von der hiesigen Standortwahl zurückziehe und auf ihre Aussage im Zeitungsinterview verwies, erklärte sie mir, sie habe damit nicht gemeint, dass sie hier aufgeben. Tja, ich frage mich dann doch, wo denn sonst? Wir kämpfen ja schließlich nicht für Buxtehude. Da muss ich etwas falsch interpretiert haben.

Die Sitzung war aus meiner Sicht völlig unergiebig und der Weg schien vorgezeichnet. Hier sei Goethe zitiert "Wer Gründe anhört, kommt in Gefahr nachzugeben . . ."

Oder aber auch: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren . . ."

Barbara Itschner, Hockenheim

Freibrief für den Gifteinsatz

Auch nach der Veranstaltung mit dem Behördenvertreter des Grünen Landwirtschaftsministers Bonde stellen sich weitere Informationen ein, die gegen die Anlage eines Reiserschnittgartens in einem Landschaftsschutzgebiet sprechen. Diese sind Dr. Hauck zwar bekannt, werden aber kleingeredet. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass das beanspruchte Gebiet durchsetzt ist von Wildreisern. Diese sind Wirtspflanzen (wie die Bäume, die man roden möchte auch) für all die von den Betreibern gefürchteten Pflanzenkrankheiten. Dr. Hauck will dieses Problem durch Mähen der Wildreiser erledigen. Nun gibt es aber im Rheinbogen sehr strenge Regelungen der Mähtermine für die Landwirte. Wiesen dürfen erst gemäht werden, wenn durch die Mahd die Brut der Bodenbrüter nicht gefährdet wird und die Pflanzen einen bestimmten Entwicklungsstand (nach der Blüte) aufweisen. Die Wildreiser wachsen wild und blühen genau wie die Bäume, die man vorsorglich roden möchte, eben, weil man deren Blühen fürchtet. Wie will man die Wildreiser beherrschen, wenn man sich an die sonst üblichen Regelungen hält? Landwirte müssen Einbußen in der Heuqualität hinnehmen zugunsten des Artenschutzes. Gibt es hier zweierlei Recht?

Bekäme der Reiserschnittgarten hier einen Freibrief? Wie aus der Fachzeitschrift der Baumschulen vom April 2011 zu entnehmen ist, streben die Betreiber von Reisergärten in der Tat einen Freibrief an. Für sie sollen schnell und flexibel Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz sonst verbotener Gifte erteilt werden können, sogar vorbeugend. Der kurze Amtsweg soll's möglich machen. Zitat: "Dazu wird es notwendig, die Flexibilität im Hinblick auf notwendige Pflanzenschutzmaßnahmen, die auch präventiv erfolgen müssen, zu erhöhen."

Ein Reiserschnittgarten würde Gasmasken für alle erforderlich machen, die sich im Gebiet des Insultheimer Hofs aufhalten. Immerhin muss schon im Normalfall mit 20 Spritzungen hochgiftiger Stoffe gerechnet werden. Dass es Alternativen zu dieser Vergiftung gibt, hat der Umweltverein auf seiner Versuchsanlage gezeigt und diese Erkenntnisse auch unserer Regierung mitgeteilt. Trotzdem beharrt man auf der chemiefreundlichen Variante. Nach all dem kann doch niemand Behörden und Betreibern vertrauen.

Traudl Wöhlke, Hockenheim

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