Atomausstieg - Beim Thema „Wind vertreibt Kohle“ werden Bürger getäuscht / Ohne Uran und Kohle muss Begriff „Industrie“ neu definiert werden „Regenerative“ betriebswirtschaftlich miserabel

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Die Proteste und Demonstrationen gegen die Erweiterung des Braunkohle-Abbaus im Hambacher Forst sind Ausdruck einer bedauerlichen Unwissenheit vieler Bürger bezüglich einiger elementarer Sachverhalte unserer Stromwirtschaft.

Seit dem Wendejahr 2011 hat unsere Regierung in der Bevölkerung den Glauben befördert, die großen Kraftwerke auf der Basis von Uran und Kohle könnten durch regenerative Energiequellen ersetzt werden, wenn man nur genügend viele Windräder und Photovoltaik-Anlagen baue. Wunschgemäß laufen die ungeliebten AKW Ende 2021 aus, jetzt geht es um den „Ausstieg aus der Kohle“, frohlocken Wendefans. In 2010 erzeugten 48 GW BKW und AKW 45 Prozent der gesamten Energie, nämlich 286 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Nach sieben Wendejahren produzierte eine mehr als doppelt so große Kraftwerksleistung von 102 GW an Wind- und Sonnenanlagen mit 145 Milliarden kWh nur 22 Prozent der Gesamterzeugung. Das ist ein gutes Drittel weniger als unsere BKW und AKW aus nur 33 GW produzierten, nämlich 224 Milliarden kWh. Diese Zahlen sind Ausdruck einer extrem schlechten Ausnutzung der Wind-und Solaranlagen von 21 Prozent beziehungsweise zehn Prozent (Volllaststunden bezogen auf die 8760 Jahresstunden), im Vergleich zu 80 Prozent beziehungsweise 72 Prozent bei den BKW und AKW. Bei den in Verruf geratenen BKW errechnete man für 2017 erfreulicherweise gut 7000 Stunden unter Volllast, während man beim Hoffnungsträger Windrad nur kümmerliche 1900 Volllaststunden ermitteln konnte. Entsprechend dieser schlechten Nutzungszahlen fällt die betriebswirtschaftliche Bewertung der „Regenerativen“ im Vergleich zu den konventionellen Kraftwerken miserabel aus. Die am Strommarkt erzielbaren Erlöse bleiben weit hinter den Kosten für Betrieb und Abschreibung zurück. Die Deckungslücke von zuletzt 25 Milliarden Euro wird vom Staat übernommen und über den Strompreis auf die Verbraucher abgewälzt. Diese massive Subventionierung steigt in dem Maße wie die heutigen zirka 30 000 Windräder und die über 300 Quadratkilometer Solarflächen planmäßig zunehmen. Nicht zu vergessen sind im finanziellen Kontext die vielen Milliarden Euro für die schwer begreifbaren Nord-Süd-Stromtrassen, die ebenfalls über den Strompreis finanziert werden. Diesen sehr ungünstigen wirtschaftlichen Aspekten halten Wende-Sympathisanten und -betreiber gerne folgenden naiven Spruch entgegen: „Die von den Bürgern herbeigesehnte Befreiung von der menschenfeindlichen, nicht beherrschbaren Atomenergie hat eben ihren Preis.“ Dieses Argument ist so „stark“, dass es den geplanten Zubau von riesigen Windrädern und Solarflächen akzeptabel erscheinen lässt; zumal die Alternative „Kehrtwende“, also eine Renaissance der Atomenergie, bis auf Weiteres nicht in Frage kommt, und die Option Erdgas-Großkraftwerke ist unter außenpolitischen Gesichtspunkten fragwürdig. Alle der Bevölkerung auf ähnlich emotionalisierende Weise schmackhaft gemachten Szenarien zum Thema „Wind vertreibt Kohle“ beruhen auf der nun zu hinterfragenden Prämisse, dass Windräder in genügend großer Anzahl die Strom-Grundversorgung, also die Grundlastdeckung, in der von BKW und AKW gewohnten Weise gewährleisten können.

In Anbetracht langjähriger Erfahrungen mit den mitteleuropäischen Windverhältnissen kommen Windräder in unseren Breitengraden in einem windreichen Jahr auf höchstens 3000 Volllaststunden (Nutzungsgrad 34 Prozent). Das ist für den Zweck der Grundlastdeckung viel zu wenig. Es müssten schon 6000 sein. Wir brauchen dazu je nach Jahreszeit 50 bis 70 GW Kraftwerksleistung „rund um die Uhr“ mit Nutzungsgrad 60 bis 80 Prozent. Dazu sind Windräder und erst recht Solarzellenfelder systembedingt nicht in der Lage. Grundlastdeckung mit Windrädern ist so unmöglich wie die Herstellung von Gold aus Blei und Kupfer. Daran können auch Trassen und Stromspeicher über Wasserstoff nichts ändern.

Die Grundlast ist die durchgängige Beanspruchung von Kraftwerksleistung durch Großverbraucher, so vor allem die Drei-Schichtbetriebe der Chemie, der Eisen-und Stahlindustrie, des Fahrzeugbaus sowie Tiefkühlketten, Krankenhäuser, Logistikzentren. Wenn man bedenkt, dass wir gemäß Ausstiegsbeschluss in 2022 kein AKW mehr haben sollen, so werden unsere bestehenden und einige neu hinzukommende BKW zur unverzichtbaren Basis unserer Stromversorgung, unterstützt von einigen umgewidmeten Steinkohle- und Gaskraftwerken, sowie von den Laufwasser- und Biogaskraftwerken. Bei dieser Perspektive ist es gerade paradox und sehr bedauerlich, wenn ein heimischer, in großem Maßstab langfristig verfügbarer Energieträger namens Braunkohle an der Vorbereitung auf seine ab 2022 erheblich größere Zukunftsaufgabe durch Proteste, Demonstrationen und Gewaltakte gehindert wird. Das hat natürlich wieder einmal mit Aufklärungsdefiziten seitens der Regierung zu tun, was wiederum ein ganz schlechtes Licht auf die immer problematischer werdende Energiewende wirft. Der unvermeidliche vorwurfsvolle Hinweis auf die relativ starken CO2-Emissionen der BKW ist fehl am Platze. Zwar ist CO2 ein Treibhausgas mit Auswirkung auf das Klima durch einen tendenziellen Erderwärmungseffekt. Dieser ist jedoch praktisch nicht isoliert zu bestimmen. Man nimmt allgemein an, dass er kaum ins Gewicht fällt im Vergleich zu einer ganzen Reihe von natürlichen Klima-Einflussfaktoren wie Sonnenaktivitäten und periodisch auftretende Erwärmungsanomalien der Ozeane. Für diejenigen Zeitgenossen, die partout ohne Atomenergie und Kohle auskommen wollen, gibt es eine von Zukunftsforschern skizzierte Perspektive: Ein Verzicht sowohl auf Uran als auch auf Kohle ist für eine Industrienation nur denkbar, wenn sie den Begriff „Industrie“ neu definiert, nämlich im Sinne einer hauptsächlich auf Nachhaltigkeit beruhenden Güterproduktion für eine wesentlich anspruchslosere Gesellschaft.

Dr. Felix Conrad, Hockenheim

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