Geschichte - Zum Umgang mit Berichten über den Holocaust / NS-Diktatur hat sich auch gegen das eigene Volk gerichtet TV-Journalisten sollten genauer abwägen

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Zur Verurteilung ehemaliger deutscher Soldaten durch Presse, Justiz und Gesellschaft wird uns geschrieben: Ich weiß, dass das Thema Holocaust ein sehr sensibles Thema ist, dem man sich vorsichtig nähern muss - und an dem es nichts zu beschönigen gibt. Auch ein von Deutschland ausgehender Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen.

Dennoch möchte ich Kritik üben am heutigen Umgang mit ehemaligen deutschen Soldaten. Beispielhaft wurde kürzlich in einem Fernsehbeitrag gefordert, dass zwei ehemalige SS-Angehörige sich heute vor Gericht verantworten sollen und wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden sollen. Sie waren im Jahr 1941 in der Ukraine stationiert. Hier wurden Juden verschleppt und ermordet.

Eine direkte Tatbeteiligung konnte durch das Fernsehteam jedoch nicht nachgewiesen werden.

Der eine Mann war lediglich Kfz-Mechaniker und hat Lastwagen repariert. Ich finde es schon sehr weit hergeholt, hier eine Tatbeteiligung wegen Mordes zu unterstellen (weil laut Beschuldigung diese Lastwagen Juden transportiert haben). Wenn man so "genau" sein will, dann müsste man auch die Hersteller dieser Fahrzeuge, die Rüstungsunternehmen, die die Waffen hergestellt haben, oder die Chemiefabriken, die das Zyklon-B produziert haben, verurteilen, da ohne sie der Holocaust nicht möglich gewesen wäre.

Übrigens könnte man dann heute gleich weitermachen: Eigentlich könnte man gleich die Bundesregierung verurteilen, die Waffenexporte in Krisengebiete genehmigt. Irgendwie wird da mit zweierlei Maß gemessen.

Überhaupt finde ich es anmaßend, dass Reporter, die heute in einer Demokratie leben und sich keinerlei Gedanken um ihr eigenes Leben machen müssen, hier vorverurteilen. Was wäre denn gewesen, wenn sich der Kfz-Mechaniker geweigert hätte (ehrlicherweise noch mit der Begründung, er wolle nicht, dass Juden mit den Fahrzeugen deportiert werden), die Latswagen zu reparieren? Er wäre am nächsten Baum aufgehängt worden oder ins KZ gekommen.

Die Nazi-Diktatur hat sich nicht nur gegen "Fremde" gerichtet, sondern auch gegen das eigene Volk. 17-Jährige wurden ohne Skrupel im Krieg "verheizt". Die Angst vor der Gestapo war allgegenwärtig. Wer nicht mitmachte, wurde selber verfolgt.

Einige - wie die Geschwister Scholl oder die Attentäter vom 20. Juli - haben mit ihrem Leben bezahlt. Ich glaube nicht, dass ein Großteil des (heutigen, noch egoistischeren) deutschen Volkes bereit wäre, sein eigenes Leben zu opfern für Menschen, die zudem in der damals gelebten Ideologie des NS-Regimes minderwertig waren.

Ich finde es unverantwortlich, dass in dem Fernseh-Beitrag zwei alte Männer - der eine 95-jährig, der andere 94-jährig - öffentlich denunziert werden - und zwar mit Nennung des vollen Namens und des Wohnortes.

Was ist, wenn die alten Herren zum Beispiel einen Herzinfarkt bekommen, weil sie ab sofort von "demokratischen" Journalisten bedrängt und unter Druck gesetzt werden und von der breiten Masse verurteilt werden für etwas, was sie nicht wirklich selbst entscheiden konnten? Ist ein Leben mehr wert als ein anderes? Zu was solch eine Hetzjagd führen kann, hat man ja im Falle Gurlitt sehen können: Ein harmloser, friedlich vor sich hinlebender alter Mann wird ins Rampenlicht gezerrt und geht daran zugrunde.

Andreas Clewe, Schwetzingen

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