Blick aufs Weltgeschehen - Forderungen des UN-Generalsekretärs Guterres nach einem partnerschaftlichen Miteinander scheinen bei den Großmächten zu verpuffen Warum Multilateralismus so wichtig ist

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Unilateral, also einseitig, zu handeln, wirft UN-Generalsekretär Antonio Guterres seinen Mitgliedern vor, vor allem den Großmächten China, Russland und USA. Spürbar frustriert, sehr deutlich und gerade noch diplomatisch fordert er das Gegenteil: Multilateralismus eben. Worum geht es ihm dabei? Im Kern um ehrlichen Schutz des Lebens. Lasten und Gewinne sollen multilateral, das heißt auf mehrere Schultern gerecht verteilt werden. Das heißt: In einem partnerschaftlichen Netz erfreulicher politischer und wirtschaftlicher Beziehungen, um Krisen in Frieden und Einverständnis zu lösen, haben alle gemeinsam daran zu knüpfen. Daran fehlt es, obwohl es an und für sich eine Selbstverständlichkeit ist. „Multilateralismus“ ist für die Menschheit also überlebensnotwendig. Wenn sich die Staaten als eine Gemeinschaft verstehen, wird Streit überflüssig. Niemand würde dann mehr infrage stellen, dass Frieden, Klima und das Leben der Ärmsten und Flüchtlinge zu schützen sind.

Die universal gültige Menschenwürde fordert daher, Guterres Mahnungen zu bedenken. Doch China, Russland und die USA stellen sich taub. Im Sicherheitsrat der UNO verschanzen sie sich hinter ihrem Vetorecht und blockieren jede auch nur ansatzweise unangenehme Abstimmung. Da sie den Status der Unantastbarkeit besitzen, haben sie keine Verurteilung zu befürchten. China unterstellt Hongkong widerrechtlich seinen Gesetzen und unterwirft es mit seiner Polizei, es hält Taiwan in Angst und Schrecken und erzieht mit Zwang die Muslime Xinjangs zu chinesischen Kommunisten.

Russland scheut nicht einmal vor Kriegen zurück. Hunderttausende Menschen hat es mit seinen Bomben in Syrien getötet und Millionen in die Flucht getrieben. Es ermordet Dissidenten, schürt den Konflikt in der Ukraine und schützt Weißrusslands Diktator Lukaschenko. Und die USA? Sie sind die größte und älteste Demokratie, ein Rechtsstaat, in dem Gerichte alles überprüfen können. Mit ihnen verbinden viele Menschen, auch Russen und Chinesen, die Hoffnung auf Freiheit, Menschenrechte und Wohlstand. Sie sind nicht nur der Sitz der UNO, sondern waren ihre wichtigste Stütze. Heute jedoch wirken sie wie ständige Quertreiber. Sie zahlen der Weltgesundheitsorganisation keine Beiträge mehr, haben das Weltklimaabkommen gekündigt und die Ära der offenen Märkte und multilateralen Verträge beendet. Stattdessen fordert Präsident Trump unilaterale Verträge. Von denen sagt er selbst, sie sollen den USA Vorteile und der Gegenseite Nachteile bringen. Um sich durchzusetzen, erhebt er Abgaben auf Importe in die USA. Missmutig folgen ihm die einstigen Partner und fordern „Revanche“-Zölle. Unilateralismus führt demnach in eine Sackgasse.

Doch anklagende Worte reichen nicht. Ein UN-Generalsekretär steht allein da. Er habe den „unmöglichsten Job“, meinte 1953 der Norweger Trygve Lie, als er ihn Dag Hammarskjöld übergab. Wer ihn innehat, braucht Freunde. Er muss mit möglichst vielen Mitgliedern gute Beziehungen pflegen, da er nicht weiß, wann und von wem er Unterstützung braucht.

Guterres muss das wissen und beherrschen. Wie einst das Orakel von Delphi ist er auf umfassende Information angewiesen. Die Zukunft wird er zwar nicht vorhersagen können, er würde aber sein Ansehen verlieren, wenn niemand seine Aufrufe befolgte. Chancen muss er nutzen, wo sie sich bieten. Derzeit gilt das wohl beim Klima. Die USA haben sich davon abgewandt. Nicht aber die EU. Sie hat beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden.

Beides könnte China motiviert haben nachzuziehen. Zwar bis 2060, aber wegen ihrer gewaltigen Bevölkerungszahl lässt sich errechnen, dass dadurch bis 2100 die Durchschnittstemperatur um 0,3 Grad Celsius weniger ansteigt. Diese Ankündigung lenkt auch vom Eingreifen Chinas in Hongkong ab. „Über die Bande“ spielt Russland, das versucht, sich durch ein Corona-Impfserum als Wohltäter der Menschheit ins Gespräch zu bringen.

Wie sich aus solchen „queren“ Methoden ein gutes Zusammenleben ergibt, wagt wohl niemand vorherzusehen. Verlieren wir aber die Hoffnung nicht.

Helmut Mehrer, Brühl

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