Europawahl - Krachende Schlappe eingestehen und Transparenz zur Grundlage des Handelns machen Was noch gesagt werden muss

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Es mutet schon seltsam an, wenn man nach einem politischen Großereignis wie den Europawahlen zur Kenntnis nehmen muss, dass von einer Parteivorsitzenden die Äußerung kommt, dass man mit dem Wahlergebnis zufrieden sei, obwohl doch gerade eine krachende Wahlniederlage, ja Schlappe zu verkraften war. Wenn dann auch noch im Nachgang die Aussage kommt, dass man doch die Meinungsäußerungen in den sozialen Netzwerken der digitalen Medien regulieren müsse, glaube ich, mich verhört zu haben. Doch mitnichten – das war beabsichtigt, zumal man davon ausgehen muss, dass die rhetorisch bestens geschulten Politiker, ausgestattet mit einem beachtlichen intellektuellen Background und einer prävalenten Eloquenz, sehr genau um die Wirkung ihrer Worte wissen.

Es ist daher wenig glaubhaft und auch in keinster Weise entschuldbar, wenn sich besagte Politiker im Nachhinein, wenn ihnen der Wind kräftig ins Gesicht bläst, hinstellen und zu beschwichtigen versuchen, mit dem Tenor, dass es ja ganz anders gemeint war und nur falsch verstanden wurde.

Blickt man zurück auf die Kommentare nach der letzten Bundestagswahl muss man konstatieren, dass sich in diesem Punkt nichts zum Positiven verändert hat, denn eine realistische und ehrliche Beurteilung in der Eigendarstellung findet nicht statt, es wird zuviel schöngeredet, Wahlversprechen werden verwässert, umgedeutet, neu interpretiert, ignoriert oder gar ganz vergessen und unsägliche Personaldiskussionen schließen sich an, nerven und überlagern echte inhaltliche Auseinandersetzungen.

Verstanden und ernst genommen wurden die Wähler offensichtlich nicht, wenn man bedenkt, dass sich gestandene Politiker im Vorfeld der Wahlen erdreisteten, in geradezu abfälligem Tonfall die junge Generation zu maßregeln. Ich habe großen Respekt vor den vielen jungen Menschen, die sich ernsthaft um ihre Zukunft sorgen. Wenn nicht jetzt wann dann? – so frage auch ich.

Im Gegensatz zu manchem Politiker vertrete ich die Meinung, dass diese Generation sehr wohl gelernt und verstanden hat! Vor dem Hintergrund des 70. Jahrestages des Grundgesetzes sollten gerade die im Fokus stehenden, etablierten Politiker Werte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Menschenwürde im Blick haben, wenn sie sich zum Verhalten junger Menschen äußern. Mehr Respekt und Achtsamkeit wäre sicherlich angebracht.

Wenn ich dann noch lesen muss, dass die stellvertretende Vorsitzende der Bayernpartei im Landkreis Weilheim-Schongau dem Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, die Einreise zu einem Vortrag als Gastredner verweigern will, angeblich wegen des Satzes: „Ein Ägypter aus Kairo ist mir lieber als ein Bayer von der Alm“, dann fällt mir nur noch ein: Schlimmer geht offenbar immer! Da bleiben dann nur noch die Fragen: Wann kommt der „Bayxit“ und „Quo Vadis Demokratie“? Die perfekte Staatsform gibt es sicherlich nicht, doch die Demokratie, ob parlamentarisch, direkt oder präsidial, wenn auch in Teilen fehlerbehaftet und punktuell verbesserungsbedürftig, ist von allen doch die beste Staatsform. Sie bleibt eine wichtige Errungenschaft und ein hohes Gut, für das sich das Einstehen und Kämpfen allemal lohnt.

Mein Vorschlag wäre, sich wieder zu besinnen auf den Leitgedanken der Aufklärung von Immanuel Kant aus dem Jahre 1784: Sapere aude (Wage zu denken)! Daher mein Appell an die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortlichen: Nicht in Traditionen und Machtstreben verhaftet bleiben, Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, Parteigrenzen überwinden, eigene Unzulänglichkeiten erkennen, Fehler eingestehen und notwendige Konsequenzen ziehen, Transparenz zum Grundsatz erheben, fachliche Kompetenzen fördern, sich der Wahrheit verpflichten und weitblickend agieren.

Kurz gesagt: Utopien denken. Gerhard Kiermeier, Hockenheim