Politik und Gesellschaft - Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Transparenz sollten die Mindeststandards fürs Zusammenleben sein Wo bleibt die Vorbildfunktion?

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Prominente Persönlichkeiten genießen, aufgrund ihrer Stellung und Position im politischen, wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Umfeld, ein großes Maß an Wertschätzung. Ihre Meinung hat Gewicht und ihre Äußerungen entbehren nicht einer gewissen Strahlkraft, wenn sich deren Handeln und Auftreten häufig nur in partikulären Interessen widerspiegeln. Wenn sie es auch nicht wollen oder beabsichtigen, haben sie eine nicht zu unterschätzende Vorbildfunktion für einen Großteil der Bürgerinnen und Bürger, der sie aber im täglichen Umgang immer seltener gerecht werden.

Auch hier ist zu beobachten, dass in erster Linie Eigeninteressen und Eigennutz die Handlungsweisen prägen. Denn wie lässt sich ansonsten das Verhalten von politischen Persönlichkeiten, wie es nun einmal Ex-Bundeskanzler, Ex-Bundesminister, Ex-Vizekanzler oder Ex-Parteivorsitzende nach wie vor darstellen, erklären, wenn sie lauthals verkünden, dass sie ja keine Politiker mehr seien und mit diesem Argument ihr durchaus fragwürdiges Handeln rechtfertigen.

Diese Einstellung und dieses Vorgehen grenzen schon an maßlose Hybris. Offensichtlich nimmt man die Bevölkerung, letztlich die Wählerklientel, denen Politiker ausschließlich ihre exponierte Stellung zu verdanken haben, nicht mehr wirklich ernst. Man agiert abgehoben in einer eigenen Liga, verhöhnt und vergisst dadurch die Bürger.

Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Transparenz, die allenthalben geforderten Mindeststandards für ein gut funktionierendes soziales Zusammenleben, werden mit Füßen getreten, ja ad absurdum geführt. Offensichtlich läuft in den parteiinternen Strukturen mittlerweile Diverses schief, denn das Verhalten einiger politischer Newcomer und Aufsteiger spiegelt genau diese Wahrnehmung: Nicht dem Bürger verpflichtet sein, sondern Steigbügelhalter für Wirtschaftsunternehmen, um die eigene Karriere zu beflügeln!

Politiker, die ein derartiges Verhalten an den Tag legen, propagieren dann aber im Umkehrschluss genau das Gegenteil, wenn man die unzähligen Auftritte in medienwirksamen Talksendungen genauer analysiert. Meines Erachtens sind und bleiben hochrangige Politiker, auch nach ihrer aktiven Zeit in politischen Ämtern immer noch Politiker, denn so werden sie in der Öffentlichkeit weiterhin wahrgenommen und entsprechend, gerade von potenten Wirtschaftsunternehmen, als Berater engagiert und auch top honoriert. Denn die Industrie agiert hier als Global-Player und lässt nichts unversucht, die weitreichenden und dadurch erfolgversprechenden Kontakte monetär zu nutzen und langfristig zu pflegen. „Fördern und fordern“ war einmal der Slogan, mit dem Politiker ihr Handeln begründeten, um Wählerstimmen zu generieren, und genau daran sollten sie auch ihr eigenes Verhalten ausrichten, wenn sie noch als authentisch, glaubwürdig, ehrlich und zuverlässig wahrgenommen werden wollen.

Meines Erachtens ist es längst überfällig alte Parteistrukturen, überkommene Verhaltensweisen, traditionelle Denkmuster und verknöcherte Systemabläufe, den aktuell geforderten Situationen gemäß, neu zu bewerten und sich an den tatsächlichen und relevanten Erfordernissen zu orientieren, denn ein Verharren in alten Verhaltensmustern ist reaktionär und bedeutet faktisch immer nur Rückschritt. Zwingend notwendig wäre daher eine vorausschauende, quasi visionäre Politik – mit Protagonisten, die auch bereit sind, kritische Selbstreflexion zu betreiben.

An dieser Stelle muss natürlich auch angemerkt werden, dass nicht vorbildliches Verhalten nicht nur auf politische Umgebungen beschränkt bleibt, sondern auch bei vielen Entscheidungsträgern in allen gesellschaftlichen Institutionen, Gruppierungen und Bereichen anzutreffen ist. Wie das jüngste Beispiel von Wirecard verdeutlicht, hat das gemeinschaftliche Versagen von Wirtschaftsbossen, Kontrollinstanzen und Regierungsmitgliedern letztlich dazu geführt, immense Schäden zu verursachen.

Was also nützen die vielzitierten Kontrollmechanismen und installierten Kontrollorgane, wenn sie ihrem ureigensten Auftrag nicht nachkommen? Die Manipulationen in der Autoindustrie beim Dieselskandal wie auch die vielfältigen und verachtenswerten Kindesmissbrauchsfälle zeigen überdeutlich das Versagen der jeweiligen Kontrollgremien. Leider kommt noch hinzu, dass es weiterhin an einer ehrlichen, nachhaltigen und zeitnahen Aufarbeitung mangelt.

In der Theorie wissen offensichtlich immer alle ganz genau wie es geht, doch bei der praktischen Umsetzung prägt zumeist taktisches Kalkül die Vorgehensweise, denn wie sonst ist zu erklären, dass Schweigen, Nichtwissen und Erinnerungslücken die hervorstechendsten Merkmale sind, die Untersuchungsausschüsse zutage fördern. Und Konsequenzen? Meistens leider Fehlanzeige. Deshalb sei die Eingangsfrage nochmals gestellt: Wo bleibt die Vorbildfunktion der verantwortlichen Entscheidungsträger? Gerhard Kiermeier, Hockenheim

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Veröffentlicht
Kommentar von
Christian Kerl
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