Als Marga Hummel am 6. April 2010 ihr Testament unterschreibt, spricht in Deutschland noch niemand von einer Flüchtlingskrise. Die damals 81-Jährige aus Bühl (Baden) verfügt: "Nach meinem Tod soll ein Teil meines Vermögens an die evangel(ische, Anm. d. Red.) Kirche zugunsten eines Kinderheims gehen." Jetzt, knapp sechs Jahre später, fließen mehr als 340 000 Euro an das Schifferkinderheim in Seckenheim.
"Manchmal passt einfach alles zusammen", sagt Oberkirchenrätin Barbara Bauer. "Auch für uns ist das eine große Summe." Warum Marga Hummel, die 2012 ohne Erben stirbt, die Evangelische Kirche bedacht hat, ist nicht bekannt. "Wir kennen sie nicht persönlich." Aber: "Ihre Mutter hat schon dasselbe gemacht." Im Auftrag der Kirche habe sich das Diakonische Werk umgesehen, wo die Not am größten sei - und stieß auf das Schifferkinderheim.
Ralph Waibel beugt sich nach vorn - zum ersten Mal während des Gesprächs. Seine Hand streicht durch seinen langen Bart. Der Leiter des Heims berichtet von einem afghanischen Flüchtlingsjungen, der sein Zimmer "kurz und klein" schlägt. Der Junge sitzt später weinend auf dem Schiffsanker, der vor dem Heim in den Boden gegraben ist. Taliban hatten seinem Vater in den Kopf geschossen. Durch ein Fußballspiel, bei dem der Ball den Jungen trifft, kommt alles zurück.
Haus mit Stadtteil vernetzen
Mit dem großen Flüchtlingsstrom ist das Schifferkinderheim in Seckenheim auch zum Ankerplatz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geworden. 17 leben derzeit in der Einrichtung, älter als 14 Jahre, aber noch minderjährig, meist aus Syrien oder Afghanistan, alleine in Mannheim gestrandet. Zwischen 35 und 45 sind in einer weiteren Einrichtung in der Wespinstraße (Schwetzinger Stadt) untergebracht. Ihr Schicksal verbindet sich nun mit dem von Marga Hummel, denn ihr Geld kommt großteils ihnen zugute. Bereits im Frühjahr soll ein Haus auf den ehemaligen Hammonds Barracks bezugsfertig sein: 2000 Quadratmeter, drei Stockwerke, Platz für 70, vielleicht 80 Jugendliche, die in Gruppen leben sollen. Das Schifferkinderheim möchte das Gebäude kaufen. Der Preis für Grund und Haus dürfte sich so um 1,2 Millionen Euro bewegen, meint Waibel.
Um Integration möglich zu machen, sollen dort auch der Sängerbund Seckenheim, der Kinderladen "Seebärchen" und eine Künstlergruppe eine Heimat finden, erklärt er: "Menschen sollen sich begegnen." Ist das Haus bezogen, wird voraussichtlich die aus der Not geborene Einrichtung in der Wespinstraße aufgegeben.
Dauerhaft soll die neue Bleibe aber nicht nur mit Flüchtlingen belegt werden. Derzeit ist die Not aber noch groß. 95 Prozent der jungen Flüchtlinge seien ganz normale Jungs, meint Ralph Waibel. Er sei ein Fan eines klaren, sehr eindeutigen Regelwerks für die Bewohner. Auch Autorität ist gefragt: "Da hilft, dass ich einen Bart habe", lächelt er verschmitzt.
Zahlen und Zuständigkeiten
- Im Schifferkinderheim leben derzeit 64 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende in acht Gruppen.
- In Mannheim werden mehr unbegleitete minderjährige Ausländer in Obhut genommen (2015: 367), als die Stadt aufnehmen muss (derzeit rund 240).
- Zuständig für die Minderjährigen ist das Jugendamt.
- Kinder und Jugendliche, die nicht in Mannheim bleiben, werden in Obhut anderer Jugendämter gegeben.
- Die Stadt gibt pro unbegleitetem minderjährigen Ausländer monatliche Kosten von rund 5000 Euro an, die das Land trägt. (dk)
Neues wagen
Daniel Kraft ist eigentlich Online-Redakteur. Heute schreibt er im Rahmen unseres Tauschprojekts "Neues wagen" für die Lokalredaktion.
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