Rettungsdienst - Erfahrener Notarzt Harald Genzwürker hält die Hilfsfrist für zu lange - und schon die wird nicht eingehalten

"Es zählt einfach jede Minute"

Von 
Peter W. Ragge
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"Der Rettungsdienst ist auf Kante genäht": Einsatzfahrt eines Rettungswagens in Mannheim. Je nach Tageszeit stehen bis zu 15 Fahrzeuge zur Verfügung, dazu tagsüber drei, nachts zwei Notärzte.

© Prosswitz

Wenn Notärzte später als per Hilfsfrist vorgeschrieben zum Einsatzort kommen, kann das "medizinisch ganz schwere Folgen für den Patienten haben". Davor warnt Harald Genzwürker vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte: "Bei einem Herz-/Kreislaufstillstand verkürzt jede Minute, die man später mit der Behandlung beginnt, die Überlebenschance um zehn Prozent", sagt er im Gespräch mit dem "MM".

Wie gestern im "MM" veröffentlicht, ist der Rettungsdienst in Mannheim und der Region laut Innenministerium nicht so schnell wie vorgeschrieben. Das sei aber, so Genzwürker, kein Mannheimer Einzelfall. Laut Gesetz soll "die Zeit vom Eingang der Notfallmeldung bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort an Straßen nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen", und zwar in mindestens 95 Prozent aller Fälle. Das schaffen die Notärzte in Baden-Württemberg nur in drei Rettungsdienstbereichen - Esslingen, Landkreis Rems-Murr und Stuttgart.

Acht Minuten wäre besser

Das "ersteintreffende Rettungsmittel", was auch ein Wagen ohne Arzt sein kann, ist nur in acht Bezirken bei 95 Prozent der Einsätze binnen 15 Minuten da - von insgesamt 34 Rettungsdienstbereichen. Dies ergibt sich aus Daten der "Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg".

"Der Rettungsdienst ist auf Kante genäht", beklagt daher der Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Neckar-Odenwald-Kliniken, der vorher lange Leitender Notarzt in Mannheim war.

Dabei seien schon die 15 Minuten eigentlich eine Obergrenze und im Normalfall gesetzlich die zehn Minuten gefordert, "doch die hält ja kaum einer ein", bedauert er. Auch wenn im Gesetz vom "Eingang der Notfallmeldung" die Rede ist, wird das unterschiedlich gehandhabt. Nach "MM"-Informationen berechnet die Rettungsleitstelle Ladenburg den Beginn der Frist erst, wenn sie das Fahrzeug losschickt - nicht schon beim Notruf selbst.

Dabei müsste man medizinisch kürzere Fristen ansetzen, betont Genzwürker. Hierzu verweist er auf das "Eckpunktepapier 2016 zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung", auf das sich 30 medizinische Fachgesellschaften und Institutionen geeinigt hätten: "Es ist also fachlicher Konsens", so Genzwürker. Darin heißt es: "Das Intervall vom Notrufeingang bis zum Eintreffen der ersten organisierten Helfer, die ausgebildet sind, eine effektive Herz-Lungen-Wiederbelebung unverzüglich und selbstständig zu beginnen, sollte daher in 80 Prozent der Fälle acht Minuten nicht überschreiten." "Acht Minuten, nicht zehn, schon gar nicht 15", wie Genzwürker ausdrücklich hervorhebt.

Zwar gebe es natürlich Einsätze, wo keine Eile geboten sei. "Aber bei Schlaganfall, Herzinfarkt, Sepsis, schwerem Schädel-Hirn-Trauma oder anderen schweren Unfällen muss es einfach schnell gehen", so der Mediziner. Da sei "Zeit ein ganz wichtiger Faktor für das Überleben, dann auch für die Vermeidung von Spätfolgen", erklärt Genzwürker: "Wenn die Atmung aussetzt, das Hirn nicht mit Sauerstoff versorgt ist, zählt einfach jede Minute!"

Zwar, so räumt er ein, "kann man nicht an jede Straßenecke einen Rettungswagen stellen". Daher laufe gerade vom 19. bis 25. September die "Woche der Wiederbelebung". Sie wirbt unter dem Motto "Prüfen. Rufen. Drücken" dafür, dass Laien im Notfall sofort die Nummer 112 wählen und dann die Scheu verlieren, bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes sofort mit einer Herzdruckmassage zu beginnen, um den Blutkreislauf aufrecht zu erhalten.

Aber natürlich müssten professionelle Retter in angemessener Frist eintreffen. Dennoch gebe in Baden-Württemberg "in der Breite große Mängel", so Genzwürker, schon allein die vom Gesetz vorgegebenen Fristen einzuhalten: "Da hilft eben nur, die Ausstattung zu verbessern." Schließlich habe man, wegen der alternden Gesellschaft, auch ständig steigende Einsatzzahlen.

Hilfsfrist

Laut Rettungsdienstgesetz soll "die Zeit vom Eingang der Notfallmeldung in der Rettungsleitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort an Straßen (. . . ) nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten betragen".

Im gesamten Rettungsdienstbereich Rhein-Neckar trift das erste Rettungsmittel in 68,1 Prozent der Fälle binnen zehn, in 93 Prozent binnen 15 Minuten ein. Rechnet man nur den Notarzt, schafft er es in 59,6 Prozent in zehn, in 91,7 Prozent in 15 Minuten.

Nur auf Mannheim und den Notarzt bezogen sind die Zahlen teils noch schlechter: Zwischen 22 und 6 Uhr kommt in Mannheim der Notarzt nur bei 58,7 Prozent der Einsätze binnen zehn, bei 94,9 Prozent binnen 15 Minuten. Das liegt daran, dass Mannheim nachts nur zwei, tagsüber aber drei Notärzte hat. pwr

Redaktion Chefreporter

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