Gedenkstunde - Widerstand gegen den NS-Terror als "strahlendes Kapitel" deutscher Geschichte / Schüler gestalten Veranstaltung zum Jahrestag der Auschwitz-Befreiung

Jugendliche leisten Erinnerungsarbeit

Von 
Thorsten Langscheid
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Schüler stellen die Verhaftung des Jakob Reiter durch die Nazis nach (v.l.): Melissa Alikoglu, Alper Alabas, Francisco Morgado dos Santos (halb verdeckt), Francesco Tufano und Elisha Homer vom Friedrich-List-Wirtschaftsgymnasium bei der Gedenkstunde im Bürgersaal des Stadthauses.

© Ruffler

Volles Haus trotz ungewöhnlich früher Nachmittagsstunde: Zur Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus waren gestern - am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee - weit mehr Mannheimer als erwartet in den Bürgersaal des Stadthauses N 1 gekommen. Thema der seit 1986 auf Anregung des kürzlich verstorbenen früheren Bundespräsidenten Roman Herzog alljährlich von Schülern gestalteten Feierstunde war in diesem Jahr der politische Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Dass der Widerstand, ganz im Gegensatz zu den "geschichtsrevisionistischen Attacken der Höckes und Meuthens in den letzten Tagen", ein "strahlendes Kapitel" der deutschen Geschichte darstellt, machten Oberbürgermeister Peter Kurz in seinem Grußwort und Hans-Joachim Hirsch, langjähriger Leiter der KZ-Gedenkstätte in Sandhofen, in seinem Festvortrag deutlich. Gerade in Mannheim, das sich seit der badischen Revolution 1848 zu einem Zentrum der Arbeiter-Emanzipationsbewegung entwickelt hatte, war es für zahlreiche kommunistische, sozialdemokratische, aber auch kirchliche Aktive, Politiker und Gewerkschafter nach 1933 "quasi selbstverständlich", Widerstand gegen die zunehmende Terrorherrschaft der Nazis zu leisten.

Beeindruckende Darbietungen

Hirsch bezog sich dabei vor allem auf die bahnbrechende Studie der Mannheimer Politikwissenschaftler und Historiker Erich Matthias und Hermann Weber, die bereits 1985 über 1300 aktiv am Widerstand beteiligte Mannheimer benannt hatten. Am bekanntesten von ihnen ist die Gruppe um den Vorsitzenden der kommunistischen Landtagsfraktion, Georg Lechleiter, die im Untergrund die Zeitung "Der Vorbote" produzierte.

In ihren sehr unterschiedlichen, aber tief beeindruckenden Darbietungen setzten sich Schüler der Wilhelm-Wundt-Schule, des Friedrich-List-Wirtschaftsgymnasiums und des Lessing-Gymnasiums mit Einzelschicksalen auseinander: Jugendliche der Klasse 10c des Lessings-Gymnasiums (Lehrerin Susann Nett-Leiberich) erinnerten an Marianne Cohn, eine jüdische Krankenschwester aus Mannheim, die sich in der französischen Résistance um jüdische Kinder kümmerte und die von deutschen Soldaten brutal vergewaltigt und ermordet wurde. Schüler der Klassen J1 und J2 des Friedrich-List-Gymnasiums (Lehrerinnen Anouk Bourrat-Moll, Martina Schulz-Hamann) zeigten das Schicksal des Weltkriegsveteranen Jakob Reiter auf, der als Brezelverkäufer in Mannheim im Disput mit einem Kunden gesagt hatte: "Nicht die Juden, sondern ihr Nazis seid die Ratten." Eine Äußerung, für die er 1944 hingerichtet wurde.

"Widerstand ist zwecklos" - so lautet der Titel einer Performance zum Thema der Theater-AG der Wilhelm-Wundt-Schule (Lehrer Olaf Lemitz und Timo Fenske). Die Jugendlichen spannten den Bogen in die Gegenwart, etwa zum Bürgerkrieg und dem Elend der Flüchtlinge in Syrien.

Der Leiter des Stadtarchivs - Institut für Stadtgeschichte (ISG), Professor Ulrich Nieß, moderierte den Nachmittag, die musikalische Gestaltung der Gedenkstunde hatten Victoria Huster und Hermann Schepetkov von der Popakademie als Duo "Royal Voicings" übernommen.

In seiner Rede hatte sich Oberbürgermeister Kurz in scharfer Form gegen die Angriffe der AfD auf die Gedenkkultur für die Opfer des Nationalsozialismus gewendet: "Wenn es jemals Volksverräter gegeben hat, dann die Repräsentanten und Unterstützer dieses Verbrecherregimes." Unter anhaltendem Applaus sagte Kurz: "Wer als Lehrer oder Richter dies verharmlost oder gar an diesen Ungeist anknüpfen will, hat im Staatsdienst nichts verloren."

Holocaust-Gedenktag

Am 27. Januar 1945 erreichte die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz und befreite die wenigen Überlebenden.

Dieser Tag wurde 1996 auf Anregung Roman Herzogs zum offiziellen deutschen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.

Die Vereinten Nationen erklärten den 27. Januar im Jahr 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

In Mannheim gestalten seither Schüler alljährlich die Feierstunde, ein Arbeitskreis um Hans-Joachim Hirsch bereitet die Veranstaltung im Sinne Herzogs vor, der einen "Tag des Nachdenkens des deutschen Volkes" angeregt hatte. lang

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