Wajdi Mouawads "Verbrennungen" am Theater Heilbronn - Esther Hattenbach inszenierte am Großen Haus das Stück des libanesisch-kanadischen Autors

Liebe in den Zeiten des Bürgerkriegs

Von 
Jürgen Strein
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Zusammen geht es besser: Szenenbild aus der Heilbronner Inszenierung des Stückes "Verbrennungen" von Wajdi Mouawad mit Sabine Unger (links) als Nawal und Judith Lilly Raab als Sawda.

© Katja Zern

Es gibt viele Arten des Schweigens. Das Schweigen vor einer emotionalen Explosion. Wissendes Schweigen. Das kontemplative Schweigen. Schweigen aus Ratlosigkeit, Schweigen als Widerstand.

Schweigen ist das Strukturelement in Esther Hattenbachs Inszenierung des Schauspiels "Verbrennungen" von Wajdi Mouawad, das am Samstag am Theater Heilbronn Premiere hatte. Immer wieder hält die Handlung für einen Moment an, in dem es still wird, manchmal ein Moment der Ruhe, manchmal ein ungemütliches Innehalten.

Nawal Marwan, deren Geschichte der Autor in "Verbrennungen" erzählt, hat einige Jahre geschwiegen, bis sie, kurz vor ihrem Tod noch einen Satz sagte: "Jetzt, da wir zusammen sind, geht es besser." Das ist ein anderes Leitmotiv des Stückes: Gemeinsam lassen sich die Schrecken des Lebens besser ertragen, vielleicht sogar beseitigen.

Denn "Verbrennungen ist ein Stück um das Leid, um den Schrecken des Krieges, des Bürgerkrieges, offenbar - obwohl das nirgends explizit gesagt wird - des libanesischen Bürgerkrieges. Die Zwillinge Jeanne und Simon bekommen das Testament ihrer verstorbenen Mutter Nawal eröffnet, in dem sie aufgefordert werden, letzte Briefe an ihren unbekannten Vater und ihren unbekannten Bruder zu überbringen. Die beiden beginnen mit der Suche - und sind bald mittendrin in einer Welt des Schreckens, deren Wurzeln - man kann es erahnen - in der Zeit liegen, als christliche Milizen mit Unterstützung der israelischen Armee in den Flüchtlingslagern des Libanon Massaker begingen. Mouwad lässt das allerdings offen - genauso gut könnte sich die Geschichte in der Agonie Jugoslawiens oder dem Bürgerkrieg in Ruanda ereignet haben.

Die Zwillinge suchen - und die Zuschauer sehen, wie Nawal als junges Mädchen ein Kind bekommt, das ihr weggenommen wird; wie sie ihrer Welt des Dorfes und den unterdrückten Frauen durch Bildung zu entkommen sucht und dabei eine Freundin, Sawda, gewinnt; wie sie schließlich die Schreibmaschine als Mittel des Widerstandes beiseite stellt und zur Waffe greift; und wie sie im schlimmsten Gefängnis des Landes vergewaltigt wird, ihre Zwillinge rettet und als "Frau, die singt" zur Figur des Widerstandes wird. Als sie später erkennt, wer ihr Vergewaltiger war, verstummt sie bis (fast) zu ihrem Tod.

"Verbrennungen" ist ein Theaterstück, in dem sich in 38 kurzen Szenen die Zeitebenen - Vergangenheit, Gegenwart - und Handlungen überlagern; in dem sich Themen ineinander verschieben - aus Liebe wird Hass geboren, aus Hass entstehen Kinder der Liebe; in dem sich Bedeutungen als trügerisch erweisen: Der Zuhörer zuckt unter dem Geknatter eines Maschinengewehres zusammen - oder ist es nur ein Presslufthammer, mit dem die Straße aufgerissen wird?

Wajdi Mouawads Stück verweigert sich mit dem Springen zwischen Zeiten und Orten und seinem dichten Bedeutungsgefüge, aber auch durch seine poetische Sprache einem naturalistischen Zugriff. Die Heilbronner Inszenierung trug dem durch die Betonung der Theatersituation Rechnung. Die Bühne (Geelke Gaycken) besteht aus mehreren Bereichen auf verschiedenen Plattformen, außerdem verkörpern die meisten Schauspieler mehrere Rollen. Das ist kein Identifikations- sondern Reflexionstheater, was Mouawad beabsichtigte und was Esther Hattenbach in Heilbronn verwirklichte.

Ihr stand dabei ein konzentriert, mit Ernst und authentisch agierendes Ensemble zur Verfügung: Sabine Unger spielte die Nawal, Julia Apfelthaler und Peter Volksdorf ihre Zwillinge, Nils Brück den Notar Hermile Lebel, Judith Lily Raab die Sawda, Sebastian Weiss Wahab und Nihad und Ingrid Richter-Wendel, die große Dame des Heilbronner Theaters, die an diesem Abend von Kunstministerin Theresia Bauer mit der Staufer-Medaille ausgezeichnet wurde, war in mehreren Rollen zu erleben.

Das Premierenpublikum belohnte den intensiven Abend - Schauspieler und Regieteam gleichermaßen - mit viel Beifall.

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