Kölner Kunstfälscherskandal II - Der Heidelberger Kunsthistoriker Henry Keazor hat Wolfgang Beltracchi besucht - ein Gespräch über die Faszination des Fälschens

"Seine eigene Kunst hat mich wenig beeindruckt"

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Für Forscher ist Wolfgang Beltracchi eine Chance: Noch nie war es möglich, mit einem Fälscher so ausführlich zu sprechen. Sicher, schon vor ihm gab es ähnliche Fälle. Aber Han van Megeren fälschte Vermeer in den 30ern. Und Elmyr de Hory Maler der Moderne vor 50 Jahren. Der Heidelberger Kunsthistoriker Henry Keazor hat Beltracchi daher besucht.

Herr Keazor, wie kam es zu Ihrem Besuch bei Beltracchi?

Henry Keazor: Ich war schon 2011 mit einer Studentin für einige Stunden bei ihm, also lange, bevor die "Spiegel"-Leute ihn sprachen. Unser Interview war nicht zur Veröffentlichung bestimmt, wir wollten einfach aus fachlichem Interesse hören, wie er auf das Fälschen gekommen war, was er erlebt hat.

Welchen Eindruck hatten Sie?

Keazor: Einerseits ist er sensibel und sehr aufmerksam im Umgang, andererseits jemand, der schon während des Prozesses gemerkt hat, wie attraktiv er für die Medien ist. Daher hat er begonnen, sich einen bestimmten Habitus zuzulegen. Ich denke, er lernt da sehr schnell.

Wie gut sind seine Fälschungen?

Keazor: Er ist handwerklich enorm versiert und sicher. Zugleich war er im Hinblick auf die Fälschungen der Provenienz seiner Bilder extrem kreativ. Man merkt, dass er viel von der Kunstgeschichte, aber auch vom Kunstmarkt gesehen und verstanden hat und genau wusste, wie er seine Fälschungen lancieren musste, um sie erfolgreich werden zu lassen.

Im Film sprechen Sie mit ihm über den Marktwert seiner Bilder: Wie gut ist Beltracchi eigentlich als eigenständiger Künstler?

Keazor: Das ist der Punkt, wo ich skeptisch bin - das ist die Fallhöhe jeden Fälschers: Je besser er ist, umso mehr erwartet man von ihm im Hinblick auf seine eigenen Werke. Die Fälschungen funktionieren als eine Art Verheißung, nach dem Motto: "So male ich, wenn ich andere fälsche, aber wartet erst mal ab, was kommt, wenn ich richtig loslegen kann." Bislang aber wurden die Erwartungen des Publikums eher enttäuscht: Bei van Meegeren oder de Hory verstand man sofort, warum sie fälschten: Ihre eigenen Arbeiten orientierten sich stark an der Tradition und waren weniger auf eine Zukunft der Kunst ausgerichtet.

Beltracchis eigene Bilder sind also nicht besonders interessant?

Keazor: Was ich bisher von ihm gesehen habe, hat mich wenig beeindruckt, sogar im Handwerklichen, das bei seinen Fälschungen ja seine unleugbare Stärke zu sein schien. Entweder ist das bewusstes Understatement...

. . . oder er hat einfach nicht mehr zu bieten. Hat er überhaupt eine Chance auf dem Kunstmarkt?

Keazor: Ich kann mir das nicht vorstellen: schon allein angesichts des Schadens, den er dem Handel zugefügt hat. Da muss eine lange Zeit vergehen, ehe man sich für ihn öffnet. Wenn Sie sich noch mal de Hory anschauen: Inzwischen werden seine Fälschungen gefälscht, aber als er seinerzeit aufflog, hätte sich kaum jemand finanziell für ihn engagiert. Und auch wenn sich die Werke ehemaliger Fälscher irgendwann verkaufen, so bleibt das doch eher ein Randphänomen, bei dem die Werke als Sammlerstücke, weniger als Kunstobjekte betrachtet werden.

Was kostet ein "echter" Beltracchi?

Keazor: Das kommt ein wenig auf Medium und Maße an, aber zuletzt konnte man ein Bild für 10 000 Euro kaufen. Zum Vergleich: Einen "Kujau" gab es zuletzt für bis zu 15 000 Mark. Im Film gibt Beltracchi inzwischen aber auch Preise bis zu 25 000 Euro an . . . aki

Professor Henry Keazor

Henry Keazor (Bild: dpa) ist Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte der Universität Heidelberg. Er erforscht nicht nur "klassische" Themen wie den Maler Nicolas Poussin, sondern u.a. auch Musikvideos.

Zudem hat er an einer interdisziplinären Studie zu Beltracchi gearbeitet, die im April unter dem Titel "Der Fall Beltracchi und die Folgen" erscheint (gemeinsam mit Tina Öcal, bei de Gruyter, 272 Seiten, 49,95 Euro). aki

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