Jazz - Drei junge Musiker aus Mannheim und drei Solisten der klassischen Musik Indiens verbünden sich zur Gruppe Neckarganga

Nische zwischen den Kulturen

Von 
Matthias Spindler
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West-östliche Begegnungen: die Band Neckarganga, bestehend (von links) aus Tabla-Spieler Sandeep Rao Kewale, Jonathan Sell (Bass) Steffen Dix (Sopransaxophon), Shaym Rastogi (Sitar), Peter Hinz (Percussion) und Keshava Rao Nayak (Tabla).

© Steffen Dix

Bei einem Konzert zum Auftakt des Creole-Sommers 2016 geschieht etwas, das Perkussionist Peter Hinz noch nie erlebt hat. In Otterstadt bei Speyer spielt Neckarganga auf dem Gelände des grün-alternativen Dorf-Vereins Naturspur, nachher bietet die deutsch-indische Gruppe ihr Debüt-Album zum Kauf an. Und dabei bekommt Hinz mit, wie ein Kind von etwa sechs, sieben Jahren von seiner erstaunten Mutter sein Taschengeld verlangt, um die erste CD seines Lebens zu erstehen. Zuvor schon ist dem Musiker ein anderes Mädchen aufgefallen, das den Auftritt von Anfang bis Ende gebannt verfolgt hat.

Fazit von Peter Hinz: In der Musik von Neckarganga muss bei aller Komplexität "eine Leichtigkeit sein, die auch Kinder verstehen können". Was keineswegs selbstverständlich ist, wenn völlig unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Unvorbereiteten westlichen Ohren erscheint die klassische Musik Indiens ja wie eine hermetisch abgeschlossene Welt mit eigenen ungewohnten Regeln. Doch gerade dieses Fremde kann unwiderstehlich anziehend wirken, das hat Hinz selbst erfahren.

2009, nach Abschluss seines Perkussionsstudiums an der Musikhochschule Mannheim, reiste er zum ersten Mal nach Indien, "einfach nur so aus Neugier". Sie wich bald einer nachhaltigen Faszination durch die indischen Rhythmen, die zunächst vokal erlernt werden - jenes zungenbrecherisch sprudelnde "tiritaka", das Trilok Gurtu auf europäischen Bühnen heimisch gemacht hat. Peter Hinz fand einen anderen namhaften Trommler als Lehrmeister: Keshava Rao Nayak in Varanasi, einer nordindischen Vier-Millionen-Metropole, die auch unter dem Namen Benares bekannt ist.

Mal quirlig, dann behäbig

Keshava, aufgrund zahlreicher Tourneen im Westen weltoffen, spielt heute bei Neckarganga die traditionelle Tabla-Doppeltrommel. Das gleiche Instrument bedient sein Sohn Sandip Rao Kewale, während Peter Hinz auf dem indischen Udu-Tonkrug ebenso trommelt wie auf einer Holzkiste eher lateinamerikanischer Herkunft. Zusammen sorgen die Drei für eine vielfingrig gesponnene Rhythmusspur, die mal behäbig dahinfließt, mal einen quirlig swingenden Groove entfaltet.

Dabei vermengen sich westliche und östliche Einflüsse, und darauf, auf gegenseitige Annäherung in musikalischem Neuland, kommt es Neckarganga an. "Wir kopieren nicht die westliche Musik, die deutschen Bandmitglieder kopieren nicht die indische. Also entsteht eine Mischung aus beidem", betont Sitarspieler Shyam Rastogi. Zusammen mit dem Mannheimer Sopransaxofonisten Steffen Dix bildet er die Melodie-Fraktion von Neckarganga.

Ihre Aufgabe der gegenseitigen Abstimmung ist schwierig, weil die indische Musik keine Harmoniewechsel kennt. Zugleich sind die Möglichkeiten des behutsamen Aufeinander-Eingehens ungeahnt reizvoll: Eine bei Dix' erstem Aufenthalt in Varanasi 2014 gemeinsam gespielte Session war der Auslöser für die Gründung einer festen Gruppe. "Es war magisch. Es war wie Erleuchtung", erinnert sich Hinz. Inzwischen ist zu Neckarganga noch Jonathan Sell hinzugekommen; Kontrabassist aus Mannheim mit Erfahrung in der arabischen Musik als Mitglied der (ebenfalls in Mannheim entstandenen) Beyond-Borders-Band. Auch für die Begegnung mit indischen Musikern findet er die so wichtigen vermittelnden Töne.

Alle deutschen Beteiligten haben Jazz studiert, wollen sich aber durch diesen Begriff nicht einengen lassen. "Du bist immer Suchender, und du bist immer Schüler", unterstreicht Steffen Dix ihre Offenheit für neue musikalische Herausforderungen.

Unbestritten bleibt die Bedeutung der Improvisation als verbindendes Element, da es im Jazz und der indischen Tradition gleichermaßen gepflegt wird. Vorlagen zum Improvisieren sind bei Neckarganga eigene Kompositionen, deren Eingängigkeit den Zugang zu ihrer Musik sehr erleichtert. Mit Erfolg erprobt wurde das Konzept der Gruppe in diesem Sommer bei einer ersten größeren Deutschlandtour, darunter auch ein Konzert in Mannheims Orientalischer Musikakademie.

Zustande kommen kann eine solche transkontinentale Kooperation allerdings nur sporadisch; unter der Voraussetzung, dass die erforderlichen Flugkosten finanziert werden können. Bisher wurde Neckarganga dabei vom Kulturamt der Stadt Mannheim unterstützt - Fördergeld, das Früchte getragen hat.

Begegnungen von indischer Muik und Jazz

Ravi Shankar, berühmter Virtuose der Sitar, spielte 1961 als erster Vertreter der klassischen indischen Musik mit einem Jazzmusiker zusammen, dem kalifornischen Saxofonisten Bud Shank.

Für ein Festivalprojekt der Donaueschinger Musiktage 1967 traf ein Free-Jazz-Quintett um die Schweizer Pianistin Irène Schweizer, mit dem jungen Mani Neumeier am Schlagzeug, auf drei Musiker aus Indien, unter dem Motto "Jazz Meets India".

Dauerhaftere Kooperationen mit indischen Musikern gingen Mitte der 70er Jahre Saxofonist John Handy und, in der Gruppe Shakti, Gitarrist John McLaughlin ein. Auch Charlie Mariano, Saxofonist und notorischer Weltenbummler, hat Musikerfreunde aus Studienaufenthalten in Indien auf westliche Bühnen gebracht.

Derzeit ist es vor allem Rudresh Mahantappa, US-Saxofonist indischer Abstammung, der die Tradition seiner Vorfahren in Jazz einbringt.

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