Premiere - Zum Auftakt inszeniert Calixto Bieito "Die Räuber" als schlichtes Familiendrama im Zigarrennebel

Und sie spielt Cello #2026

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Familienaufstellung als feuchte und traurige Angelegenheit: Amalia (Katharina Hauter, hinten), Franz (Sascha Tuxhorn) und Vater Moor (Jacques Malan).

© Hans Jörg Michel

"Die Hölle sind die anderen." Jean-Paul Sartre stellt dies ausgerechnet in seinem Stück "Geschlossene Gesellschaft" fest, das nun als existenzialistische Europa-Metapher, so scheint es, auch den Schiller-Überlegungen des Nationaltheaters als Festivalmotto voransteht. Dem katalanischen Höllenexperten Calixto Bieito, dessen Premiere die Schillertage im Schauspielhaus eröffnete, scheint die Fremdheit in nächster Nähe besonders grausig zu sein.

"Die Räuber", frei von Sturm und Drang, Politik, Weltanschauung, gescheitertem Idealismus als schlichtes und doch sehr blutiges Familiendrama mit nur sechs Personen, das gab es in zwei pausenlosen Stunden zu sehen. Mehr nicht. Eine traurige Angelegenheit also.

Bilder aus der Menschenseele

Folglich steigt Bieito in den 1782 allhier uraufgeführten Fünfakter mit einer Textumstellung ein: "Du weinst, Amalia?" greift Katharina Hauter Karl Moors und ihren Worten aus dem IV. Akt voraus. "Du spieltest Cello" - wie bei Udo Lindenberg - "in jedem Saal in unserer Gegend", ein Seeleninstrument, das die Schauspielerin auf Regiewunsch hin zu lernen hatte und dessen gelegentliche Misstöne durchaus ins dramaturgische Konzept passen. Die Dissonanzen, die das Zusammenspiel von enttäuschter Erwartung, unerfüllter Sehnsucht und gefühltem Unrecht nun mal in Menschenseelen erzeugt, weiß Calixto Bieito zur Konzertreife zu bringen. Katharina Younes hat hierzu einen atmosphärischen Klang- und Bühnenraum entworfen, finster wie die Abgründe, die es dort (in sinniger Ergänzung mit Schwarz-weiß-Videos von Sarah Derendinger) abzubilden gilt.

Im Glashaus sitzt Vater Moor, den die Regie dennoch die Steine des Anstoßes werfen lässt und dem sie die Schuld an den maßlos versagenden Söhnen Franz und Karl gibt. Jacques Malan spielt ihn nicht als tattrigen Landedelmann, sondern als kernigen Pietisten mit Dekankrägelchen, dem der Lederriemen der beste Erzieher ist. Zu spüren bekommt ihn meist Franz, womit für Bieito die Ursach' allen Übels geklärt wäre. Dass die sprichwörtliche und - wie so vieles - gestrichene "Canaille" das eigentliche arme Schwein ist, wissen aufmerksame Schüler hierzulande in der achten Klasse. Sonderlich originell oder tiefgründig ist diese Entdeckung somit nicht.

Sascha Tuxhorns Rollengestaltung schmälert das keineswegs. Hin- und hergeworfen zwischen Unrecht und Verzweiflung, klischee- und mätzchenfrei, gespannt wie ein Flitzebogen, der die Schussrichtung nicht kennt: die beste Schauspielleistung des Abends. Er könnte der Rehbock sein, der im Hintergrund filmisch und fachgerecht ausgeweidet wird, auch wenn dieser szenisch dem "geschlachteten Engel" Amalia zugeordnet ist, die eines nicht ist: Rehlein, also Ricke. So viel sinnstiftendes Jägerlatein muss sein. Hauter spielt realistisch, teils auch effektvoll und bleibt doch eigentümlich blass in dieser Inszenierung, die ein noch viel größeres Problem hat: Karl Moor.

Schlamm und Regen

Ein cooler Zampano mit Zigarre ist er, doch weder das Mordbrennen in den böhmischen Wäldern noch Skrupel nimmt man diesen Räubern ab, die keine Freiheitskämpfer, Unrechtsopfer, Anti-Pegidas, Occupy-Anhänger, Terroristen oder Rocker sind, sondern wie Manager (Kostüme: Rebekka Zimlich) auf Abwegen einfach nur moralisch verlottern und sich die Hände blutig machen. Nur zwei von deren acht sind in Mannheim verblieben: Spiegelberg (Boris Koneczny) als hündischer Kläffer und Roller (Julius Forster), der als irre lachender Kommentator ebenso maßgeblich zum traumfinsteren Kolorit dieser Höllenfahrt beiträgt wie Nicole Berrys famoses Gespensterlicht.

David Müller (zweifelsfrei eine Begabung) geistert dabei überfordert von der Rolle sowie Schillers Sprache durchs Schattenreich, Pathos ist ihm von der Regie ebenso verboten wie furioser Irrsinn. Das Ergebnis: So wenig Karl war selten in Mannheim.

Es bleiben große Bilder. Kämpfte Calixto Bieitos "Don Karlos" 2009 noch mit Blumenerde, so ist diesmal reichlich Wasser hinzugekommen, was vor allem Karls Auftritte nicht selten zur Schlammschlacht macht. Das Konzept des Familiendramas verpufft Szene für Szene im Nebel. Zigarren, Wälder und Regen machen ihn wirkmächtiger als den Dunstkreis von Schillers Worten. Manchmal nimmt Bieito sie hingegen zu wörtlich: "Amalia für die Räuber" meint keine Gruppenvergewaltigung. Anders als der provokante Opernregisseur Bieito lässt der diskretere Schauspielregisseur dies nicht vor unseren Augen geschehen. Wer am Ende wie stirbt, steht freilich auch nicht bei Schiller, aber wer wollte sich bei den Schillertagen über genommene Freiheit beklagen?

Schlimmer ist, dass diese anfänglich starke Familienaufstellung, dann doch nur irgendwie zu Ende inszeniert wurde. Dem (gestrichen!) "Mann kann geholfen werden": Nähme Bieito im Jahr fünf Regieaufträge weniger an, könnte hier und da Großes entstehen. Die Hölle sind die anderen (Inszenierungen).

Premieren von Calixto Bieito in den letzen vier Monaten

13. Februar: "Boris Godunow", Bayerische Staatsoper München.

1. März: "Herzog Blaubarts Burg/Gianni Schicchi", Komische Oper Berlin.

24. April: "Così fan tutte", Basel

24. Mai: "Wilde" Schwetzinger Festspiele/Staatstheater Mainz.

12. Juni: "Die Räuber", NTM.

Die hauseigene Eröffnungsinszenierung der 18. Internationalen Schillertage ist während des Festivals nicht mehr zu sehen, wird aber ins Schauspiel-Repertoire des Nationaltheaters übernommen.

In dieser Spielzeit wird sie am 28. Juni sowie am 4., 12. und 26. Juli gezeigt. Karten gibt es telefonisch unter 0621/1680 150. rcl

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