Mannheim. Der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus hat vor den Landtagswahlen Schwarz-Rot-Gelb in Baden-Württemberg, Schwarz-Grün-Gelb in Rheinland-Pfalz und Schwarz-Rot in Sachsen-Anhalt prognostiziert. Nun erwartet er allerdings andere Koalitionen.
Herr Professor Debus, was ist mit Ihren Prognosen schiefgelaufen?
Marc Debus: In Baden-Württemberg haben wir auf die Aussage des CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf vertraut, seine Partei werde auf keinen Fall Juniorpartner der Grünen. Ganz so klar sieht das ja nicht mehr aus . . .
Und in Rheinland-Pfalz gingen Sie irrtümlich davon aus, die CDU werde stärkste Partei, richtig?
Debus: Als wir die Wahrscheinlichkeit der einzelnen Koalitionen untersuchten, lag die SPD in Rheinland-Pfalz deutlich hinter der CDU.
Warten Sie künftig mit Ihren Prognosen bis kurz vor der Wahl?
Debus: Nein, bis nach der Wahl. Im Ernst: Wir sind natürlich von der Zuverlässigkeit der Umfragen abhängig. Und dass die AfD derart stark abschneidet, haben die Meinungsforschungsinstitute noch nicht mal in ihren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend vorhergesagt.
Worauf führen Sie das zurück?
Debus: Offensichtlich bekennen sich viele Wähler nicht dazu, ihre Stimme der AfD zu geben, weil das als politisch nicht korrekt gilt.
Handelt es sich bei denen auch eher um einmalige Protestwähler?
Debus: Das hängt davon ab, wie lange die Flüchtlingskrise anhält. Wenn die etablierten Parteien es nicht schaffen, den Bürgern ihre Ängste zu nehmen, könnte sich eine rechtspopulistische Partei dauerhaft behaupten. Zumal die Union den konservativen Flügel nicht mehr abdeckt.
Was heißt das für CDU und SPD?
Debus: Die Regierung muss ihre Flüchtlingspolitik ändern. Die Euphorie der Willkommenskultur hat dazu geführt, dass kritische Stimmen lange kaum wahrgenommen wurden oder nicht gehört werden wollten. Doch die Ereignisse der Silvesternacht in Köln haben bei vielen Bürgern ein Umdenken ausgelöst.
Wie muss man darauf reagieren?
Debus: Etwa mit sozialen Investitionen - wie SPD-Chef Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat - verhindern, dass Gegensätze zwischen Deutschen und Zuwanderern aufgebaut werden. Bisher ist die Flüchtlingspolitik auch eine Umverteilungspolitik.
Die SPD hat den Mannheimer Norden, ihre bisherige Hochburg, an die AfD verloren. Ist sie nicht mehr Partei der "kleinen Leute"?
Debus: Als solche wird die SPD kaum noch wahrgenommen. Bei weiten Teilen ihrer potenziellen Wählerschaft unter den "kleinen Leuten" besteht der Eindruck, die SPD tue mehr für Flüchtlinge als für die bereits hier lebenden sozial Schwächeren.
Welches Zeichen sollten Union und SPD noch setzen?
Debus: Es muss deutlich werden, dass die Zuwanderung begrenzt werden kann. So fordert es auch die CSU. Auch Julia Klöckner und Guido Wolf haben das im Wahlkampf getan, aber sehr ungeschickt. Sie stellten sich gegen ihre Bundes-CDU, was beim Wähler nicht gut ankam.
Aber die Zahl der Flüchtlinge lässt doch wegen der geschlossenen Balkan-Route bereits kräftig nach?
Debus: Ja, aber Angela Merkel hat sehr deutlich gemacht, dass sie keine gesperrten Grenzen wünscht. Daher wird ihr die nachlassende Zuwanderung auch nicht zugeschrieben.
Was könnte Merkel konkret tun?
Debus: Es gibt da keine einfachen Lösungen. Aber sie sollte eine Kurskorrektur deutlich machen. Ein Weiter-wie-bisher hilft nur der AfD.
Wie sollten denn die anderen Parteien mit der AfD umgehen?
Debus: Die Strategie, die AfD wie bislang komplett ausgrenzen, halte ich nicht für richtig. Das kann einen Mitleidseffekt bei manchem Wähler auslösen. Bei einigen Anhängern dürfte es auch dazu führen, dass sie sich mit der AfD als "Anti-System-Partei" erst recht identifizieren.
Was bedeutet das für den parlamentarischen Alltag?
Debus: Man sollte ganz normal mit der AfD umgehen, ihr dieselben Rechte zugestehen wie anderen Parteien - etwa, was Ausschüsse und sonstige Parlamentsposten angeht. Grenzt man sie aus, wird sie sich weiter in der Opferrolle profilieren. Dagegen könnte sich in den Landtagen erweisen, dass Personal und Programm der AfD untauglich sind.
Zum Schluss noch mal zu Ihren Prognosen vor der Wahl. Da jetzt die Sitzverteilung feststeht, haben Sie Gelegenheit zur Korrektur. Welche Koalitionen erwarten Sie nunmehr in den drei Ländern?
Debus: In Sachsen-Anhalt kann es ja nur Schwarz-Rot-Grün geben. In Rheinland-Pfalz rechne ich mit einer Ampel, weil sie allen Beteiligten den größten Nutzen verspricht. Und in Baden-Württemberg halte ich Grün-Schwarz für am wahrscheinlichsten. Aber das wird dauern.
Marc Debus
- Marc Debus, geboren am 29. Oktober 1978 ist Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Mannheim.
- Zudem leitet Debus am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) den Arbeitsbereich "Die politischen Systeme Europas und ihre Integration".
- Debus hat in Marburg und Mannheim Politikwissenschaft, Soziologie, Empirische Sozialforschung, Neuere Geschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte studiert. 2006 promovierte er in Konstanz. (sma)
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-politik-ausgrenzen-der-afd-falsch-_arid,834500.html