Menschenrechte - Bundesregierung bestreitet Racial Profiling bei Polizei / NGOs und antirassistische Initiativen widersprechen

Eine Frage der Hautfarbe?

Von 
Birgit Müller
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Berlin/Mannheim. Ein dunkelhäutiger Mann sitzt in einem Zug. Im Gegensatz zu den anderen Fahrgästen wird er von einem Polizisten kontrolliert. Vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz beruft sich der Beamte auf "ein nicht beschreibbares Gefühl", das ihn zu dieser verdachtsunabhängigen Kontrolle veranlasst habe. In erster Instanz hatte er die Kontrolle mit der Hautfarbe des Mannes begründet.

Dass es in Deutschland polizeiliche Maßnahmen gibt, die einzig aufgrund der äußeren Merkmale einer Person durchgeführt werden - Racial Profiling genannt - bestreitet die Bundesregierung unter anderem in einer Meldung auf ihrer Website. Grund: Sie verstoßen gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (Diskriminierungsverbot). Antirassistische Initiativen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Amnesty International sehen das anders. In einem Positionspapier fordert die Menschenrechtsorganisation die Regierung auf, die Existenz von Racial Profiling in Deutschland anzuerkennen.

"Das ist ein schlimmer und ungeheuerlicher Vorwurf", sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Ob eine Personenkontrolle durchgeführt wird, müsse in der entsprechenden Situation sekundenschnell entschieden werden. Die Polizisten verließen sich dabei auf "ihren gesunden Menschenverstand". "Wer kontrolliert wird, hängt von den Gesamtumständen ab." Die Hautfarbe spiele dabei keine Rolle.

"Natürlich gibt es Racial Profiling bei der deutschen Polizei", sagt dagegen Rechtsanwalt Sven Adam. "Sonst gäbe es all die Klagen nicht." Derzeit werden mutmaßliche Fälle von Racial Profiling etwa an den Verwaltungsgerichten in Stuttgart, Köln und München verhandelt. Adam vertritt zudem ein schwarzes Ehepaar aus Mainz. "Sie wurden in einer Regionalbahn in Richtung Bonn als Einzige kontrolliert."

"Suchen Aufträge nicht aus"

Die Bundespolizei argumentierte vor dem Verwaltungsgericht Koblenz mit Paragraf 22 des Bundespolizeigesetzes, wonach Beamte Personen kontrollieren dürfen, wenn sich diese etwa in Zügen aufhalten, die zur illegalen Einreise genutzt werden. Das Paar war aber auf einer Inlandsstrecke unterwegs. "Das Gericht entschied, dass Paragraf 22 dort nicht anwendbar war. Nicht aber, dass die Kontrolle diskriminierend war", sagt der Jurist.

Dass die Bundespolizei in Berufung ging, sieht Adam daher positiv. "Mein Ziel ist es zu zeigen, dass wir es bei solchen Kontrollen mit Racial Profiling zu tun haben. Dafür müssen wir das in höchstrichterlicher Instanz klären", sagt er. "Mit Paragraf 22 gibt das Bundespolizeigesetz vor, dass Polizisten, wenn sie ihren Job auftragsgemäß machen wollen, rassistische Denkmuster erfüllen müssen." Schließlich suchten die Beamten Menschen, die ihrer Meinung nach nicht deutsch aussähen. "Wir können uns die gesetzlichen Aufträge nicht aussuchen", sagt Wendt.

Vielen Polizisten sei nicht bewusst, dass ihr Handeln diskriminierend sein könne, sagt Tahir Della, Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. "Es herrscht der Gedanke vor, dass rassistisches Handeln auch rassistisches Denken voraussetzt". Dass Polizisten offenbar in diese Richtung nicht geschult werden, hält er für problematisch.

Die Sensibilisierung für Diskriminierung spiele sehr wohl eine Rolle in der Ausbildung, sagt Günter Hones von der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. "Racial Profiling wird nicht als eigenständiges Thema unterrichtet, in einzelnen Fächern wird aber auf kulturelle Unterschiede in der Bevölkerung eingegangen." Zudem verpflichteten sich die Beamten beim Diensteid zu "Gerechtigkeit gegenüber jedermann". Auch in Fortbildungen würden interkulturelle Kompetenz vermittelt, so Polizeigewerkschaftsvorsitzender Wendt. Dass NGOs suggerieren, der Staat sei rassistisch, löst laut Wendt bei der Polizei Unverständnis aus. "Wir sind von so vielen Nationalitäten umgeben", sagt auch die Mannheimer Polizeisprecherin Roswitha Götzmann. "Viele Kollegen haben einen Migrationshintergrund, wodurch wir hoffen, kulturelle Barrieren überwinden zu können."

Trotzdem: Laut Tahir Della wissen Schwarze oft nicht, ob die Kontrollen rechtmäßig sind. "Auf beiden Seiten herrscht großes Misstrauen." Mehrmals im Monat werde auch er, ebenfalls dunkelhäutig, verdachtsunabhängig kontrolliert. Für Menschen mit dunklem Teint gehöre es zum Alltag, kontrolliert zu werden, so Della. Wendt kann sich das nicht erklären. "Vielleicht verhalten sie sich anders, sind anders gekleidet."

Racial Profiling

Polizeiliche Kontrollen, Überwachungen und Ermittlungen, die ohne objektiven Grund wegen der Hautfarbe, Sprache, Religion, Nationalität oder ethnischen Herkunft einer Person durchgeführt werden, bezeichnet die "Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz" als Racial Profiling.

Racial Profiling basiert laut Amnesty International meist auf unbewussten rassistischen Vorurteilen und Stereotypen.

Die Bundesrepublik wurde 2013 vor dem UN-Menschenrechtsausschuss aufgefordert, Racial Profiling ausdrücklich zu verbieten.

Die Bundesregierung gab an, dass sie keinen Änderungsbedarf sehe, da Racial Profiling in Deutschland nicht existiere. bim

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