Mannheim. In den deutschen Ethikkommissionen klingeln die Alarmglocken. Pläne der EU-Kommission, die Anforderungen für klinische Prüfungen von Arzneiwirkstoffen zu vereinheitlichen, würden die Arbeit der Gremien faktisch aushebeln, warnt Jochen Taupitz. Mit der Idee, EU-weit einheitliche Standards für Arzneimitteltests zu schaffen, erklärt sich der auf Medizinrecht spezialisierte Jurist, Mitglied des Deutschen Ethikrates, zwar einverstanden. Doch er kritisiert vehement drei gravierende Schwachstellen der Verordnung: verkürzte Fristen, die Konzentration auf einen Berichterstatter-Staat und die Möglichkeit, den Widerspruch bestimmter Probanden übergehen zu können.
Am schwersten wiegt für den Jura-Professor der Uni Mannheim, dass die Neuregelung Ethikkommissionen zeitlich massiv unter Druck setzen wird. "Der größte Knackpunkt sind die äußerst kurzen Fristen", warnt Taupitz im Gespräch mit dieser Zeitung. Nach geltendem deutschen Recht steht vor dem Beginn der klinischen Prüfung eines Wirkstoffs die Zustimmung sowohl des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte als auch der Ethikkommissionen. Bisher bleiben 30 beziehungsweise 60 Tage Zeit, ein Votum für oder gegen den Beginn klinischer Tests von Arzneimittelwirkstoffen abzugeben. Die 30-Tage-Frist gilt, wenn die Prüfungen lediglich an einem Klinikum laufen und damit nur eine Ethikkommission gefragt ist; die doppelte Zeit bleibt bei Tests an verschiedenen Standorten, weil dann die Meinungen mehrerer Gremien zu koordinieren sind.
Brüssel will die Frist auf zehn beziehungsweise 25 Kalendertage verkürzen. Die Zehn-Tages-Frist soll gelten, wenn zwei bereits zugelassene Wirkstoffe hinsichtlich ihrer Chancen und Risiken miteinander verglichen werden. 25 Tage blieben Zeit, um den Daumen vor einer normalen klinischen Prüfung zu heben oder zu senken. Dem Verdacht, dass angesichts solch knapper Zeiträume allzu viel Informationen nicht mehr gefragt sind, widerspricht Taupitz nicht. "Die Möglichkeiten, seriöse Voraussetzungen für den Beginn einer klinischen Wirkstoffprüfung zu erarbeiten, würden durch die Verordnung deutlich verschlechtert", sagt der Jurist.
Weniger Schutz für Probanden
Sein zweiter Kritikpunkt: In jedem Prüfungsverfahren soll nur noch ein EU-Mitgliedsland als Berichterstatter zugelassen sein. Alle anderen Länder, in denen ein Wirkstoff ebenfalls getestet wird, könnten zwar Anmerkungen einreichen, die aber nicht zwingend zu berücksichtigen wären. Und drittens sollen die Regelungen zum Schutz der Test-Teilnehmer aufgeweicht werden. So ist geplant, dass eine Ablehnung der Teilnahme von jugendlichen Probanden oder Menschen, die ihren Willen nicht zweifelsfrei kundtun können, übergangen werden kann.
Angesichts derart gravierender Änderungen sagt Taupitz: "Jetzt ist die Bundesregierung gefragt." Er setzt aber auch auf Widerstand im EU-Parlament.
Ethikkommissionen
Diese Expertengremien beurteilen Forschungsvorhaben, die an Lebewesen ausgeführt werden, aus ethischer, rechtlicher und sozialer Sicht. Damit dient ihre Arbeit dem Schutz des Individuums vor den Folgen der Forschung an Lebewesen.
In Deutschland arbeiten die Mitglieder ehrenamtlich, weil man in diesen Gremien Menschen mit Praxiserfahrung haben möchte. Gesetzliche Grundlagen für medizinische Ethikkommissionen finden sich im Arzneimittel-, im Medizinprodukte- und Stammzellengesetz. rw
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