Mannheim. Der Zuschlag für einen Bauauftrag, ein gutes Wort für die Automobilindustrie bei den EU-Verhandlungen zum CO2-Ausstoß oder Vergünstigungen beim Hotelbesuch: Sind deutsche Beamte, Politiker und Unternehmer korrupt? Im gestern veröffentlichten Korruptionswahrnehmungsindex der Antikorruptionsorganisation Transparency International rangiert die Bundesrepublik auf Platz 12 von insgesamt 177 Ländern - und damit im europäischen Mittelfeld. Mit 78 von möglichen 100 Punkten hat sich im Vergleich zum Vorjahr wenig geändert. Damals belegte Deutschland Rang 13 mit 79 Punkten. Der Index setzt sich laut Transparency Deutschland aus mehreren Umfragen mit Länderanalytikern und Geschäftsleuten zusammen. Warum aber zählt Deutschland nicht zu den Spitzenreitern wie Dänemark mit 91 Punkten (Platz 1), Finnland und Schweden (Platz 3 hinter Neuseeland) sowie Norwegen (Platz 5)?
Tradition der Transparenz
"Diese Länder zeichnen sich durch eine lange Tradition transparenter Verwaltung und Politik aus", sagt Ricarda Bauch, Referentin von Transparency Deutschland. Nichtsdestotrotz habe es auch in Finnland keine Karenzzeitregelung gegeben, die dem quasi übergangslosen Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft etwas entgegensetzen könne. So enthalte der schwarz-rote Koalitionsvertrag keine Transparenzregelung.
Zwar stehe Deutschland relativ gesehen gut da: "Aber wir erwarten mehr von der Bundesrepublik als Vorreiter in Europa." Viel zu viel sei in den vergangenen Monaten über Parteispenden, die zeitgleich mit Verhandlungen auf EU-Ebene eingegangen seien, oder den Wechsel von Politikern in die Wirtschaft diskutiert worden, meint Bauch, die Ex-Staatsminister Eckart von Klaeden zwar nicht nennt, dessen Wechsel zu Daimler aber wohl im Blick hat. "Das sind zweifelhafte Vorgänge, über die zu Recht diskutiert wird", bemerkt Bauch. Transparency Deutschland forderte gestern, bei Gesetzesentwürfen künftig einen Lobbycheck einzuführen, eine Karenzzeit für den Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft zu schaffen und Parteispenden auf jährlich 50 000 Euro zu deckeln.
Maßnahmen gegen Korruption brachten Griechenland im Index ein geringes Plus ein. "Das ist ein positives Zeichen, dass die Reformen Wirkung zeigen", so Bauch. Trotzdem bleibt der Krisenstaat europäisches Schlusslicht mit Platz 80 - gleichauf mit dem kommunistischen China. Griechenland erreichte 40 Punkte, immerhin sechs mehr als im Vorjahr, und liegt damit nur knapp hinter Italien und Rumänien, die mit 43 Punkten Rang 69 belegen. "Der politische Wille ist da", bekräftigt Bauch. So habe die griechische Regierung unter anderem ein Antikorruptionsgesetz verabschiedet. Dies sei bei Ländern wie Spanien nicht der Fall: Spanien fiel von Platz 30 auf Rang 40 zurück, verlor sechs Punkte.
"Wissenschaftlich nicht sauber"
Doch was sagen die Zahlen letztendlich aus? Axel Dreher, Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg, sagt: "Mit einem Mittelwert aus verschiedenen Umfragen kann man nicht sauber vergleichen." Sogenannte Perspektionsdaten, also subjektive Wahrnehmungen, seien mit Vorsicht zu genießen, warnt Dreher. "Das ist, als würde man jemanden auf der Straße befragen." Bauch verteidigt indes die Methode: "Korruption ist immer mit einer hohen Dunkelziffer verbunden. Statistiken sind deshalb nicht sehr aussagekräftig."
Wie Korruption wahrgenommen werde, hänge schließlich von vielen Faktoren ab, betont Dreher: Beispielsweise werde die Korruptionsrate in Ländern, in denen mehr Fälle aufgeklärt würden, in der Wahrnehmung höher eingestuft als in Ländern mit niedrigerer Aufklärungsrate. Hinzu komme, dass Korruption nicht in jedem Land identisch definiert sei: Was anderswo legitim sei, erzeuge hierzulande sofort einen Korruptionsverdacht, sagt Dreher und führt den Fall Christian Wulff an.
Eine Einteilung der Länder in verschiedene Gruppen sei für einen Index sinnvoller. "Kleine Verschiebungen spiegeln lediglich statistische Unsicherheiten wider. Wenn man sieht, dass sich ein Land vom unteren Mittelfeld in die Spitzengruppe schiebt, sagt das hingegen etwas aus", so Dreher. Dass deutsche Politiker korrupt sind, glaubt er nicht: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Spitzenpolitiker so unvorsichtig sind."
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