Stuttgart. Nach mehr als vier Jahren und 314 Verhandlungstagen biegt der Mammutprozess gegen zwei Führer von Hutu-Milizen aus Ruanda auf die Zielgerade. Die Bundesanwaltschaft beantragte gestern gegen den Hauptangeklagten Ignace Murwanashyaka aus Mannheim lebenslänglich. Der 52-Jährige ist fünf Jahre nach seiner Verhaftung noch immer Präsident der FDLR ("Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas"). Sein damaliger Vize Straton Musoni aus Neuffen (Kreis Esslingen) soll für 12 Jahre ins Gefängnis.
Es geht um monströse Gewaltverbrechen im 6000 Kilometer entfernten Kongo, die in Saal 6 des Stuttgarter Oberlandesgerichts verhandelt werden. Die Bundesanwälte sind sich sicher, dass den beiden Angeklagten über 100 zum Teil grausamste Morde an Zivilisten nachgewiesen wurden. Die Kämpfer der Rebellen hätten zahlreiche Frauen im Ostkongo im Anklagezeitraum der Jahre 2008 und 2009 vergewaltigt. "Dr. Murwanashyaka trägt die volle Verantwortung für die Taten der FDLR", sagt Ankläger Christian Ritscher. Und Musoni sei "nicht das kleine Licht, als das er sich dargestellt hat".
Aus Gründen der Prozessökonomie hat der 5. Strafsenat die Anklage wegen Kriegsverbrechen und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung eingedampft auf fünf Massaker, begangen von Kämpfern der FOCA, dem militärischen Arm der FDLR im Jahr 2009. Als grausamstes bewertet Ritscher den Angriff auf ein Dorf am 10. Mai, als rund 100 Zivilisten getötet wurden, darunter Frauen und Kinder. Ganze Familien seien in ihre Hütten eingesperrt und die dann angezündet worden. Frauen seien vergewaltigt und sogar in die Vagina geschossen worden, fasst er die Zeugenaussagen zusammen.
Vom Sofa in Mannheim aus
Eine direkte Befehlskette für einzelne Straftaten vom Präsidenten Murwanashyaka in Mannheim zu den Kämpfern im afrikanischen Urwald kann die Anklage nicht belegen. "Es wird ihnen nicht angelastet, dass sie die Taten angeordnet haben", betont einer der drei Bundesanwälte, die sich beim siebenstündigen Plädoyer abwechseln. Aber der FDLR-Chef habe den Konflikt politisch gesteuert. Und er habe keinen Versuch unternommen, die völkerrechtswidrigen Gräueltaten zu stoppen. "Murwanashyaka war nicht der Möchte-gern-Kriegsherr, der in Mannheim auf dem Sofa saß", betont er.
Die Anklage sieht in Murwanashyaka den "obersten Führer der Rebellen", der mit Satellitentelefon, SMS und E-Mail zahllose Handlungsanweisungen gegeben und Todesurteile angeordnet hat. Die Kämpfer hätten ihn als ihren Befehlshaber anerkannt. Obwohl er da schon fünf Jahre in Untersuchungshaft saß, sei er im letzten Herbst als FDLR-Chef wiedergewählt worden.
Die Verteidigung, die mit ihren Plädoyers in der übernächsten Woche beginnen soll, stellt Murwanashyaka als politischen Repräsentanten der FDLR im Ausland dar. Einfluss auf die Kämpfer im afrikanischen Busch habe er nicht gehabt.
Beim Start im Mai 2011 war es das erste Verfahren vor einem deutschen Gericht nach dem neuen Völkerstrafgesetzbuch. Seit 2002 können Kriegsverbrechen in jedem Land der Erde angeklagt werden. Es war ein ungewöhnlich aufwendiger Prozess mit 52 Zeugen, die zum Teil aus Angst vor Verfolgung in ihrer Heimat per Video anonym vernommen wurden. Viele Zeugen wurden zu den bis zu neuntägigen Vernehmungen nach Stuttgart eingeflogen. Die Verfahrenskosten dürften sich mittlerweile auf rund fünf Millionen Euro summieren.
Für Ankläger Ritscher hat sich der riesige Aufwand gelohnt: "Trotz aller Schwierigkeiten hat sich gezeigt, dass das Völkerstrafrecht funktioniert."
Der unauffällige Nachbar aus Mannheim
Ignace Murwanashyaka kam 1989 aus Ruanda nach Deutschland. Er studierte Volkswirtschaft und schrieb seine Dissertation in Köln. Er zog nach Mannheim, wo er bis zu seiner Verhaftung Ende 2009 lange unauffällig lebte. Seinen Lebensunterhalt bestritt der mittlerweile 52-Jährige, der zwei Kinder hat, mit Sozialhilfe. Erstmals fiel er wegen Verstößen gegen das Ausländerrecht auf und wurde 2009 zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.
Schon ein Jahr nach der Gründung der FDLR, übersetzt "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas", wurde Murwanashyaka ihr Präsident. Sein Vorteil: Er war nicht in den Genozid Mitte der 90er Jahre in Ruanda verwickelt. pre
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-laender-anklage-fordert-hohe-strafen-_arid,683532.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html