Karlsruhe. Bei Petra Lorenz liegen die Nerven blank. Gleich auf zwei Seiten grenzt ihr Ledergeschäft an Baustellen. Tief unten in der Kaiserstraße wird der Tunnel für die zentrale Strecke der Karlsruher Straßenbahn gebuddelt. Immer wieder werden die Ladenbesitzer an der Einkaufsstraße vertröstet. "Wenn Sie dann von einem Tag auf den anderen gesagt bekommen, dass die Bauzeit vor der Haustüre sich um ein weiteres Jahr bis Ende 2017 verlängert, kriegen Sie die kalte Wut", sagt Lorenz. Die Sprecherin der Interessengemeinschaft "Wir in Karlsruhe" weiß um die Existenzangst vieler Kollegen. "Wir haben im Moment Einbußen von 50 Prozent", klagt Lorenz. Der Frust sei groß.
Auch bei Jürgen Wenzel geht die Geduld zu Ende. Der Stadtrat der Freien Wähler begehrt in einer neuen Initiative Auskunft von der Stadtverwaltung, wie es mit der Großbaustelle im Zentrum der Stadt weitergeht. "Wir können das Ding doch nicht zuschütten", sagt Wenzel angesichts der aktuellen Probleme.
Sprengsatz im Kleingedruckten
Seit 2010 wird in der Kaiserstraße gebaut. Damals waren die Kosten für den gut zwei Kilometer langen Straßenbahntunnel samt sieben Haltestellen und den Rückbau der parallel verlaufenden autobahnähnlichen Kriegsstraße auf 495 Millionen Euro beziffert. Inzwischen nennt die Stadt offen eine Bausumme von 910 Millionen Euro, hinter den Kulissen gelten Gesamtkosten jenseits der Milliardengrenze als ausgemacht. Seit Monaten muss SPD-OB Frank Mentrup die Bürger vertrösten, weil Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Stadt hinhält.
Schon vor einem Jahr hat der Bundesrechnungshof das laufende Projekt in Frage gestellt. Die Behörde drängt den Bund zur Einstellung der Förderung. Man könne "die Wirtschaftlichkeit nicht mehr bestätigen". Dobrindt prüft, und angeblich weiß in Karlsruhe niemand, wie die Sache ausgehen könnte. Wenzel weist auf den Förderbescheid von 2008 hin. Danach sei unklar, ob das Vergraben der Stadtautobahn in der Kriegsstraße nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz überhaupt bezuschusst werden kann.
Die Stadtspitze sitzt damit in der Zwickmühle: Der Rückbau der Kriegsstraße ist bei den Karlsruhern populär und gab nach Wenzels Ansicht auch den Ausschlag, dass der Bürgerentscheid 2002 für das inzwischen als Kombilösung präsentierte Gesamtprojekt mit dem Straßenbahntunnel positiv ausging. Sechs Jahre vorher, als es nur um die Untertunnelung der Kaiserstraße ging, gab es keine Mehrheit für den Bau.
"Viele Bürger fragen sich jetzt, ob sie vor dem Bürgerentscheid 2002 verarscht wurden", berichtet Wenzel mit Blick auf die ungeklärte Förderung des Kriegsstraßentunnels. Der Freie Wähler verlangt nun eine Aussage der Stadtverwaltung für den Fall, dass es für den noch nicht begonnenen Rückbau der Autobahn kein Geld aus Berlin gibt. "Die Stadt muss sich vorbereiten", fordert er. Es reiche nicht, wie die drei Affen Augen, Ohren und Mund zu verschließen.
Schützenhilfe erhält Mentrup im Moment noch vom Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann. Sein Sprecher betont: "Wir sind der Meinung, dass die Wirtschaftlichkeit unverändert besteht." Ein Fünftel der förderfähigen Kosten übernimmt das Land. Allerdings wurde der Zuschuss schon von CDU-Regierungschef Günther Oettinger auf 100 Millionen Euro gedeckelt.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt dagegen der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sonst mit Hermann meist auf einer Linie liegt. VCD-Landeschef Matthias Lieb: "Die Bedenken wegen der Wirtschaftlichkeit gab es schon am Anfang." Und mit den Kostensteigerungen seien die natürlich größer geworden. Seiner Ansicht nach sollte auf die Tieferlegung der Stadtautobahn verzichtet werden. Ihn erinnert die Kombilösung fatal an das Großprojekt Stuttgart 21: "Das ging damals nach dem Grundsatz, ich gönne dir deinen Tunnel. Dann lass du mir mein Großprojekt."
Umstrittene Konzepte
In Karlsruhe haben wechselnde Oberbürgermeister von CDU und SPD alles daran gesetzt, die zentrale Einkaufsmeile in der Kaiserstraße durch eine Verlagerung der Straßenbahn in einen Tunnel zu entlasten. Erst mit einem zweiten Bürgerentscheid gab es dafür eine Mehrheit.
Immer oben geblieben ist das praktisch gleich große Mannheim mit seiner Straßenbahn. Bei der Umgestaltung der Einkaufsstraße Planken zur Fußgängerzone wurde für die Bahn ein Tempolimit erlassen. Ab nächstem Jahr sollen die Planken für 29 Millionen saniert werden. An eine Untertunnelung denkt kaum jemand. Das Beispiel Karlsruhe dürfte solche Gedanken im Keim ersticken. pre
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