Geschichte - Der Film "Zivilcourage" erinnert an die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale vor 25 Jahren in der DDR

Die mutigen Frauen der Erfurter Andreasstraße

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Bundespräsident Joachim Gauck zeichnet Gabriele Stötzer aus.

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Am Anfang waren es "nur" fünf Frauen. Doch sie brachten vor 25 Jahren den Mut auf, die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale in der DDR zu wagen. Ihr Ziel an jenem 4. Dezember 1989: die Vernichtung der Akten zu verhindern. Nur Stunden später standen schon über 300 Menschen vor den Toren der Staatssicherheit in der Erfurter Andreasstraße.

An dieses Ereignis wird heute Abend auch Roland Jahn erinnern. Der Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin hat sich zu der Gedenkveranstaltung an historischem Ort in Erfurt - heute eine Gedenkstätte - angesagt. Dabei werden Zeitzeugen über ihre Erfahrungen während und nach der friedlichen Revolution berichten. Zeugen wie etwa die Autorin und Künstlerin Gabriele Stötzer, die wie alle anderen bei der Besetzung des Gebäudes nicht wirklich wissen konnte, ob beispielsweise ein Schießbefehl galt. Beklemmend ehrlich schildert sie in dem Film "Zivilcourage" ihr Leben danach: "Mein Lebenshöhepunkt, die Wende, war das Ende meiner Karriere als Künstlerin. Es war alles zu Ende. 20 Jahre habe ich dann im Dunkeln gelebt."

Dabei war auch die Zeit in der DDR alles andere als ein Zuckerschlecken. Im November 1976 hatte sie sich per Unterschrift am Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann beteiligt. Bei der Überbringung der Unterschriftenliste von Erfurt nach Berlin war sie von der Stasi festgenommen und in die Andreasstraße gebracht worden. Für fünf lange Monate. Im Frühjahr 1977 dann das Urteil: ein Jahr Haft.

Neben Stötzer kommen in dem Film, der in der Gedenkstätte in Ausschnitten zu sehen ist, auch andere Zeitzeugen zu Wort. So beispielsweise der langjährige Erfurter Propst Heino Falcke, ein anerkannter Vordenker in der evangelischen Kirche der DDR. Ihm sei es im Herbst 1989 nicht um einen Systemwechsel vom Sozialismus zum Kapitalismus gegangen, sondern gleichermaßen um gesellschaftliche Veränderungen in Ost und in West, sagt er. Die Besetzung des Erfurter Stasi-Gebäudes sei eine wichtige Station gewesen.

Sprecherin der Initiative war damals Almuth Falcke, die später tödlich verunglückte Ehefrau des Propstes. In "Zivilcourage" kommt sie per Tonband mit den Forderungen an den Behördenleiter, Generalmajor Josef Schwarz, zu Wort: Stopp der Aktenvernichtung, Versiegelung aller Räume einschließlich der Datenzentrale und Abzug der Stasi-Mitarbeiter aus dem Gebäudekomplex.

Noch während Almuth Falcke mit dem örtlichen MfS-Chef verhandelte, drangen die ersten Demonstranten in das Gebäude ein. Ein Bild, das diesen Moment dokumentiert, zeigt einen völlig verunsicherten General, der offenbar nicht realisiert, was da gerade passiert.

Für Gabriele Stötzer gab es noch eine späte Genugtuung. Im vergangenen Jahr erhielt sie aus den Händen von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz. Begründung: "Gabriele Stötzer macht als Schriftstellerin und Künstlerin mit ihrem Werk eindringlich erfahrbar, was staatliche Unterdrückung, Bespitzelung und Gewalt für den Einzelnen bedeuten." Hdf

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