Arbeitsrecht: Im Streit um die Kündigung einer Altenpflegerin könnte es heute einen Vergleich geben

Das Maultaschen-Gericht

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Tatjana Schneider

Mannheim. Es geht um sechs Maultaschen und um eine Grundsatzfrage. Vergangene Woche trafen sich vor dem Arbeitsgericht in Radolfzell eine 58 Jahre alte Altenpflegerin und ihr früherer Arbeitgeber, die Spitalstiftung Konstanz. Die Pflegeeinrichtung hatte der Frau fristlos gekündigt, weil sie sich bei der Mittagsverpflegung für die Bewohner bedient haben soll - ein Vertrauensbruch, findet die Heimleitung.

Die Pflegerin klagte gegen die Kündigung. Die Maultaschen wären weggeworfen worden, argumentierte ihr Anwalt. Bis heute müssen die Parteien nun entscheiden, ob sie einen Vergleichsvorschlag des Gerichts annehmen: 25 000 Euro für die Klägerin, dafür wäre die Kündigung wirksam. Wird der Vorschlag abgelehnt, ist ein weiterer Gerichtstermin für den 16. Oktober angesetzt.

"Vertrauen oft zerstört"

Kündigungen wegen scheinbarer Kleinigkeiten haben zuletzt häufiger die Gerichte beschäftigt. Am meisten Aufsehen erregte der Fall der Berliner Supermarkt-Kassiererin "Emmely". Sie wurde bei Kaisers' Tengelmann gefeuert, weil sie zwei Pfandmarken im Wert von 48 und 82 Cent unterschlagen haben soll. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erklärte die Kündigung für rechtens, das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ließ zuletzt Revision zu.

Um die eigentliche Sache - also Maultaschen, Pfandbons oder ein paar Brötchen - geht es in solchen Prozessen natürlich kaum. Schließlich ist der materielle Wert mit gerade einmal ein paar Euro oder Cent geradezu lächerlich. Die Grundsatzfrage, mit der sich die Richter in Radolfzell und anderswo befassen müssen, lautet vielmehr: Ist das Vertrauensverhältnis so gestört, dass eine Kündigung unvermeidbar ist?

"Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Diebstahl grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigt. Das Vertrauensverhältnis ist in der Regel zerstört", erklärt der Mannheimer Arbeitsrechtsexperte Dietrich Growe. Ferner sei aber eine Interessenabwägung vorzunehmen. "Die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter sind dabei immer zu berücksichtigen."

Relativ klar ist der Fall laut Growe, wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern ausdrücklich verboten hat, sich im Betrieb an bestimmten Sachen zu bedienen - egal, ob sie hinterher in den Müll wandern oder nicht. In dem Pflegeheim in Konstanz soll das laut Spitalstiftung der Fall gewesen sein. "Schwierig wird die Beurteilung vor allem dann, wenn es Grauzonen gibt und nicht genau klar ist, was die Beschäftigten dürfen und was nicht", sagt Growe.

Zu den rechtlichen Aspekten kommt häufig eine moralische Dimension. Zumal vor dem Hintergrund einer Finanzkrise, in der manche Bankmanager scheinbar ungeschoren Millionen in den Sand setzen können. Da trifft es den Volksnerv empfindlich, wenn eine Frau wegen ein paar Maultaschen fristlos gefeuert wird.

Kratzer im Firmen-Image

Noch ungerechter erscheint vielen eine Kündigung, wenn wie im Fall "Emmely" der Vorwurf im Raum steht, das Unternehmen suche nur einen Vorwand, um eine unliebsame Mitarbeiterin loszuwerden. Das kann sich Experten zufolge negativ auf das Ansehen von Firmen auswirken. Beispiel Tengelmann: Nach Erkenntnissen des Marktforschungsinstituts YouGovPsychonomics hat der "Fall Emmely" zumindest vorübergehend Kratzer im Image der Supermarktkette hinterlassen. "Der Effekt war am Anfang massiv, das Image hat sich deutlich verschlechtert. Dann erholten sich die Werte zwar schnell wieder einigermaßen. Das vorherige Niveau hat das Tengelmann-Image aber zunächst nicht mehr erreicht", sagt Boris Hedde, Senior Projektmanager bei YouGovPsychonomics. Das Institut misst das Image von 500 Marken regelmäßig in seinem "BrandIndex". Bei Tengelmann wollte man sich zu dem Thema zuletzt nicht äußern.

Generell hängt der Imageschaden durch Negativschlagzeilen davon ab, wie Firmen darauf reagieren. "Die richtige Krisenkommunikation ist ganz wichtig", sagt Hedde. So habe sich der Discounter Lidl nach dem Skandal über die Bespitzelung von Beschäftigten schnell wieder an frühere Imagewerte herangearbeitet. Hedde: "Das lag sicher an der Aufklärungskampagne und den öffentlichen Entschuldigungen."

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