Urteil - Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern erklärt "Verschwiegenheitsklausel" in Arbeitsverträgen für unwirksam

Kollegen dürfen über ihr Gehalt offen reden

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Inna Hartwich
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Mannheim. Ach, die Kollegen. Was da im Laufe der Arbeitszeit alles zusammenkommt! Im Team erfahren die Mitarbeiter scheinbar alles voneinander. Welche Krankheit der Sohnemann nun schon wieder aus der Krippe eingeschleppt hat, wie unsäglich doch der neue Freund der Tochter ist, welchen Namen der Trennungsgrund des Abteilungsleiters trägt. Nur über das Eine redet man nicht gern: Geld.

Wie denn auch, wenn im Arbeitsvertrag eine "Verschwiegenheitsklausel" steht? Wenn eben dieser Zusatz es einem verbietet, dem Kollegen die Frage zu stellen: "Und, was verdienst du so?" Solche Einschränkungen sind allerdings unwirksam. Denn "Arbeitnehmer dürfen mit Kollegen über ihr Gehalt reden", hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern bestimmt. Solche Klauseln seien ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, heißt es in dem Urteil.

"Eine richtige Entscheidung", sagt der Mannheimer Arbeitsrechtler Dietrich Growe. Verschwiegenheitsklauseln seien mit dem deutschen Rechtssystem nicht zu vereinbaren. Vertraulicher Umgang mit seinem Gehalt hieße denn auch, weder mit seinen Freunden und seiner Familie noch mit der Gewerkschaft und seinem Anwalt darüber sprechen zu dürfen, sagt der Anwalt. "Ein völlig unangemessener Eingriff in die Privatsphäre", findet Growe und teilt die Meinung der mecklenburgischen Richter.

Eine Abmahnung vor einem Jahr brachte alles ins Rollen. Eine Frau hatte sich in einem Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern mit ihrem Kollegen über die Höhe ihres Gehalts unterhalten. Hatte sie denn ihren Arbeitsvertrag nicht gelesen? "Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Höhe der Bezüge vertraulich zu behandeln, im Interesse des Betriebsfriedens auch gegenüber anderen Firmenangehörigen", stand darin. Die Mitarbeiterin plauderte aber offen über ihr Einkommen. Ein klarer Verstoß gegen die Arbeitspflichten, befanden ihre Vorgesetzten. Die Frau klagte, verlangte, den Makel "Abmahnung" aus ihrer Personalakte zu entfernen - und bekam nun recht. Wie soll sich der Arbeitnehmer denn gegen eine mögliche Ungleichbehandlung in Gehaltsfragen wehren, wenn er noch nicht einmal weiß, wie viel sein Gegenüber verdient?

"Eine vertragliche Verschwiegenheitspflicht verstößt zudem gegen die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit", entschieden die Richter. Arbeitskämpfe gegen ein Unternehmen wären mit einer solchen Pflicht unmöglich. Denn bestimmte Lohnstrukturen wären den Gewerkschaften gar nicht erst bekannt. "Sie müssen es aber sein", sagt Growe.

Die Frage nach dem Verdienst - sie löst zwischen den Kollegen viele Reaktionen hervor. Was in Ländern wie den USA, Norwegen oder Russland zum Tischgespräch dazugehört, wird hierzulande mal mit wortlosem Anstarren und völligem Ignorieren, mal mit hysterischem Kichern oder entgeisterter Abwehr quittiert.

Anwalt Growe ist sich sicher: "Wir müssen über unser Gehalt reden - im Interesse der Allgemeinheit", sagt er und denkt dabei vor allem an den Niedriglohnsektor. "Wie wird die Kassiererin in bestimmten Supermärkten bezahlt? Nach Tarif oder nicht? Wenn wir das - auch als Verbraucher - wissen, können wir handeln."

Korrespondent

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