Bensheim. Chinesisch gehört nicht zum Fremdsprachenangebot der Karl-Kübel-Schule. Noch nicht. Denn für ein berufliches Schulzentrum mit Schwerpunkt im Fachbereich Wirtschaft ist der Blick nach Osten naheliegend. Seit Jahrzehnten verzeichnet die Volksrepublik schwindelerregende Wachstumszahlen.
Während Chinas Präsident Xi Jinping in den USA weilte, war eine Delegation aus dem Südosten des Landes jetzt in Bensheim zu Gast. Genauer gesagt aus der Provinz Zhejiang. Eine der reichsten Chinas. Noch genauer: aus der Hauptstadt Huzhou.
Dort gilt die Zhejiang Information Engineering School als eine der modernsten und besten Berufsschulen im ganzen Land. Über 5000 Schüler werden von mehr als 300 Lehrern unterrichtet. Damit ist sie etwa doppelt so groß wie die Karl-Kübel-Schule (KKS), die mit den chinesischen Kollegen seit drei Jahren partnerschaftlich verbunden ist. Im Juni 2014 wurde die Kooperation vertraglich besiegelt.
Acht Schüler, zwei Lehrer
Acht der leistungsstärkeren Schüler und zwei Lehrer der Schwesterschule waren vergangene Woche an der Bergstraße, um den beiderseitigen Dialog aufrecht zu halten. Am kommenden Samstag startet der Gegenbesuch. Etwa 15 Jugendliche im Alter von 17 bis 18 Jahren aus jeder Schulform sind dabei. Die Teilnahme ist freiwillig.
"Wir freuen uns, dass der Austausch auf so viel Interesse stößt", sagt Johanna Winkler. Eine von fünf Lehrerinnen und Lehrern, die den Kontakt geknüpft hat und mit Leben füllt. Beim Gespräch mit ihren chinesischen Kollegen Weirong Zang (Mathematik) und Xiebao Wang (Kunst) war am Freitag auch der Bergsträßer Anzeiger dabei.
Ein Duales System mit einer intensiven Verzahnung von Wissen und dessen Anwendung, wie es in Deutschland praktiziert wird, gibt es in China nicht. Entsprechend dünn besetzt ist der solide Mittelbau an gut ausgebildeten Fachkräften zwischen Billigarbeitern auf der einen und Akademikern auf der anderen Seite. Das berufliche Aus- und Fortbildungswesen ist traditionell sehr theoretisch. Doch das dynamische Wirtschaftswachstum, die massiven Investitionen ausländischer Unternehmen und damit verbundenen vielseitigen Anforderungen, auf die sich die heimische Wirtschaft einstellen muss, führen zu einem enormen Bedarf an beruflicher Bildung. Vor allem das deutsche duale Bildungssystem genießt einen sehr guten Ruf, wie Weirong Zang bestätigt.
Entsprechend interessiert waren die Gäste am Innenleben der Karl-Kübel-Schule, die an der Nahtstelle zwischen Schule und Arbeitswelt agiert und eng mit Partnern in der Wirtschaft kooperiert.
Neben Unterrichtsbesuchen stand der fachliche Austausch mit Lehrern und Schulleitung auf dem Programm. Doch auch gemeinsame Ausflüge in die Umgebung trugen dazu bei, sich besser kennenzulernen. Darüber hinaus besuchte die Delegation regionale Unternehmen wie Sirona Dental Systems in Bensheim sowie Merck und Schenck in Darmstadt.
Es gehe um die Erweiterung von Horizonten von Schülern und Lehrern, so Weirong Zang in Bensheim. Genauso steht es auch im Partnerschaftsvertrag. Der Dialog soll die Erziehungskultur und die pädagogischen Grundsätze im jeweiligen Land erhellen und so zu einem gegenseitigen Voneinander-Lernen beitragen.
Sieben Stunden täglich Unterricht
In Zhejiang werden die Schüler im Vollzeitunterricht (mindestens sieben Stunden täglich) in Fächern wie Mechatronik, Elektromechanik, Informatik, Gastronomie und Chemie ausgebildet. Die durchschnittliche Klassengröße umfasst etwa 50 Schüler. Der riesige Campus mit seinen Werkstätten und den Schul-, Internats- und Verwaltungsgebäuden gleicht einem kleinen Dorf, berichtet Johanna Winkler, die selbst über Asien-Erfahrung verfügt. Sie hat ein Jahr in Japan gelebt.
"Die Identifikation der Schüler mit ihrer Schule ist in China weitaus intensiver", sagt sie. Die chinesischen Gäste wiederum waren beeindruckt vom Umweltbewusstsein in Deutschland. Man schaut sich gegenseitig über die Schultern, spricht und lernt von- und miteinander. "Wir sind sehr stolz, das ein internationales Projekt so gut funktioniert", so Lehrer Steffen Wiegand von der Kübel-Schule, der ebenso wie seine Kolleginnen Winkler und Karin Pütz den Austausch organisiert.
Beim Thema Fachkräftemangel holt Weirong Zang tief Luft. Dann zählt er die Berufsfelder auf, die in China dringend gut ausgebildeten Nachwuchs brauchen: Mechanik, Informatik und Architektur, Chemie und Hauswirtschaft, Design und Kosmetik, Hotellerie und Gastronomie. Überhaupt sei der Dienstleistungssektor relativ unterbesetzt. Auf dem Arbeitsmarkt Asien würden europäische, vor allem deutsche Fachkräfte, mit Kusshand begrüßt.
Mitzubringen sind ein solides Wissen und eine starke Leistungsbereitschaft. Die wachsende Industriemacht braucht Techniker und Handwerker, so Zang. Ein Bereich, der zu lange vernachlässigt wurde. In China gilt traditionell eine Beamtenlaufbahn als erstrebenswert. Praktiker genossen bislang kein so hohes Ansehen. Das ändert sich nun langsam. Der Blick geht nach Westen - und bleibt am dualen Ausbildungssystem made in Germany hängen.
Unterm Strich war die deutsch-chinesische Woche an der KKS ein fruchtbarer Diskurs auf Augenhöhe. Neben dem fachlichen Fokus blieb noch genug Platz für gesellige Treffen. Und ein freundschaftliches Tischtennis-Turnier im Multimax der Schule. In ihrem Volkssport Nummer eins benötigen die Chinesen ganz und gar keine Tipps aus Deutschland.
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