Lorsch. Warum Poetry Slam? "Wegen der Party und der Frauen", dachte Nils Fürchtenicht eigentlich immer. Dann hat sich der junge Mann aus Kassel intensiver mit dieser Frage auseinandergesetzt, und einen Text darüber verfasst. Vorgetragen hat er seine Arbeit am Samstagabend im Lorscher Sapperlot-Theater im Rahmen des Halbfinales des Hessen-Slam 2014. Es war der persönlichste und anrührendste Vortrag des Abends. Fürchtenicht beschrieb seine Kindheit, das Aufwachsen an der Seite eines alkoholabhängigen Elternteils - eine Erfahrung, die er literarisch zu verarbeiten sucht: "Ich mache es wegen Dir."
Lorscherin an der Spitze
Der Nordhesse qualifizierte sich mit seinem Text für das Finale des Hessen-Slams, das am Sonntagabend im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt ausgetragen wurde. Das Finale der unter Zwanzigjährigen gewann dort Leah Diba aus Lorsch, Florian Cieslik aus Frankfurt entschied den Wettbewerb in der Hauptgruppe für sich.
Den Sprung von Lorsch nach Darmstadt schafften außerdem noch GAX (Frankfurt), Tabea Reinelt (Marburg), und Leticia Wahl (Marburg), die für den "Poetry Slam Lorsch" aufschlug. Zwölf Halbfinalisten waren im Sapperlot am Start, drei Frauen und neun Männer. Launig moderiert wurde das Event von Tilman Döring und Philipp Herold.
Zeitgleich zum Sapperlot-Halbfinale fand in Darmstadt (Krone) die zweite Vorschlussrunde der hessischen Meisterschaften statt. Dabei erdichtete sich die Heppenheimerin Jule Weber einen Platz im Finale.
Die Regeln beim Poetry Slam sind weitgehend bekannt: Die Dichter werden von einer - in Lorsch siebenköpfigen - Freiwilligen-Jury aus dem Publikum bewertet, wobei der Applaus der Nicht-Jury-Zuschauer bei der Entscheidungsfindung berücksichtig werden soll. Das Punktesystem reicht von eins bis zehn. Die niedrigste und die höchste Punktzahl werden gestrichen. Der Slammer mit den meisten Punkten gewinnt. Hilfreich ist, wenn das Publikum ihm zusätzlich noch frenetisch Beifall klatscht.
Beim Poetry Slam ist Vieles erlaubt: Missbilligung und Zustimmung sollen und dürfen aus den Rängen lautstark artikuliert werden. Die Dichter haben sechs Minuten Zeit für ihre Performance, die durchaus mit Mimik und Gestik verfeinert werden darf. Gesang ist ebenfalls zulässig.
Ob Zeile um Zeile vom Blatt abgelesen oder frei vorgetragen wird, spielt keine Rolle. Der Stil des Textes - mit oder ohne Reime - ist frei wählbar, gleiches gilt für das Thema. Wer die Zeit überschreitet, dem wird zunächst der Vorhang vor der Nase zugezogen, anschließend das Mikro abgedreht. Dennoch gilt stets der Grundsatz: Respekt vor dem Dichter.
Im proppenvollen und engagiert teilhabenden Sapperlot waren literarisches Niveau sowie das Punkte- und Themenspektrum weit gefächert. Vergeben wurden Wertungen von 2,1 bis zu einer einmaligen glatten 10,0 für Tabea Reinelt, die mit Farben und Gefühlen eine Straße bauen möchte.
Von ermüdend bis erhellend
Thematisch abgedeckt waren viele Bereiche: (enttäuschte) Liebe zu Menschen und Ländern, Krieg und Frieden, die Suche nach Zufriedenheit, absurde Märchen, Fortschritt, vegane Ernährung, Berufswelt, Entschleunigung, ein bisschen Revolution sowie die Abkehr vom Geldgott. Das war bisweilen erhellend und berührend, bisweilen ermüdend, manchmal lustig.
Zur Auflockerung des Lorscher Wettbewerbs performte Jan Philipp Zymny, der amtierende deutschsprachige Meister im Poetry Slam, zweimal auf der Lorscher Bühne und lieferte einen wilden Ritt zwischen literarischer Kunst und banaler Comedy ab - die (ehemalige?) Subkultur Poetry Slam, die lange als Gegenbewegung zum etablierten Literaturbetrieb galt, ist inzwischen nah dran am Mainstream. /s
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