Bergstraße. Der Landrat schlägt vor, das Bergsträßer Umsteuerungsprojekt "Familien stärken - Zukunft schaffen" nach der Pilotphase weiter zu führen (wir haben kurz berichtet). Ab Januar 2014 soll das Konzept in einen Regelbetrieb übergehen, wie Matthias Wilkes mitteilt. Der Kreistag entscheidet darüber in seiner Sitzung am kommenden Montag.
"Das Konzept ist erfolgreich", so der zuständige Dezernent Wilkes, der betont, dass es bei diesem Projekt keinerlei Interessenkonflikte gäbe. Wirtschaftliche Überlegungen und pädagogischer Anspruch kommen sich nicht in die Quere, so der Landrat. Das Projekt wurde im August 2008 im Kreistag angestoßen.
Es soll das Jugendamt finanziell konsolidieren und gleichzeitig mehr Kinder und Jugendliche in Pflege- und Bereitschaftsfamilien vermitteln. Bei der Beschlussfassung hatte der Kreistag auf sein Budgetrecht verzichtet, laufende Jahresberichte über inhaltliche und finanzielle Ergebnisse wurden dem Sozialausschuss regelmäßig vorgelegt.
Vorbeugen spart Geld
Wilkes und seine Abteilungsleiterin Ute Schneider-Jaksch wollen den präventiven Aspekt der jugend- und familienpädagogischen Arbeit betonen und nicht erst aktiv werden, "wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist". Die Botschaft lautet: Vorbeugen spart Geld. Die Einsparungen im Haushalt betragen laut Jugendamt seit Beginn zwischen 323 758 Euro (2009) und 1,298 Millionen Euro Ende 2012. Tendenz weiter steigend. Die Mittel werden unter anderem für die Förderung von Erziehungskompetenzen der Pflegeeltern und den Ausbau zeitgemäßer Formen der Familienpflege verwendet, so Schneider-Jaksch.
Durch eine frühzeitige Einbindung in familiäre Strukturen soll die Notwendigkeit einer teuren Heimunterbringung reduziert werden. Ausgangslage waren 2008 die steigenden Fallzahlen im Kreis Bergstraße. Waren Ende 2007 noch 150 Bergsträßer Kinder in Heimen untergebracht (mit damals steigender Tendenz), so konnte die Zahl auf 135 in 2011 und weiter auf 130 in 2012 gedrosselt werden. Ende vergangenen Jahres waren es noch 120 Kinder, die in einer stationären Einrichtung betreut wurden. Damit konnten auch die Kosten im Bereich Jugendhilfe erheblich gesenkt werden.
Einzigartiges Projekt
Die Jugendamtsleiterin bezeichnet das Konzept als einzigartig im überregionalen Vergleich. Dass es auch erfolgreich ist, hat sich der Kreis von einem externen Beratungsunternehmen bestätigen lassen. Die Evaluation der Hamburger Agentur, die auf Optimierungsprozesse in öffentlichen Verwaltungen spezialisiert ist, kommt zu einer positiven Bilanz und spricht von einer "wirksamen Fallreduzierung" durch nachweisbar effiziente Ansätze. Sprich: Es wirkt.
Ein Vergleich verschiedener südhessischer Landkreise habe außerdem gezeigt, dass das Bergsträßer Jugendamt im Bereich der flexiblen und passgenauen Angebote "anderen Ämtern weit voraus ist".
Landrat Wilkes verweist auf die grundsätzliche Schwierigkeit eines Erfolgsnachweises im Segment sozialer Entwicklungsprozesse: Erst mittel- und langfristig zeige sich, ob und welche Auswirkungen solche Maßnahmen haben. Die spezifischen Zusammenhänge und kausalen Verlinkungen im Verlauf individueller Biografien seien schwer zu definieren. Ein Stopp nach der Erprobungsphase widerspreche aber der Zielsetzung des Projekts.
Viel Überzeugungsarbeit
Es sei bei diesen Themen viel Überzeugungsarbeit zu leisten - auch in der Politik, so Wilkes. Man habe aber nicht den Anspruch, jedes Kind in eine Pflegefamilie zu integrieren: Die Unterschiedlichkeit der Einzelfälle lasse keine einheitliche Lösung zu. Das System könne sich die Sonderleistung Heim letztlich aber nur dann leisten, wenn familiäre Krisen und individuelle Lebenswege möglichst früh in richtige Bahnen gelenkt würden. "Die Familie ist und bleibt das beste Umfeld für jeden jungen Menschen", so Wilkes.
Das eingesparte Geld fließt in die Prävention. Bereits kurz nach dem Projektstart wurden ein qualifizierter Kinderpflegedienst aufgebaut und sogenannte Bereitschaftsfamilien angeworben, die in der Lage sind, kurzfristig Kinder in Notlagen aufzunehmen.
Bestehende Projekte wie die Elternschule "Das Baby verstehen" und das Präventionsprogramm "Keiner fällt durchs Netz" zur Begleitung hochbelasteter Familien sollen zum Bestandteil des Gesamtkonzepts werden. Mit einer verzahnten sozialpädagogischen Unterstützung will man Kindern ermöglichen, möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld aufwachsen zu können beziehungsweise eine geeignete Pflegefamilie zu finden.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-gut-fuer-kind-und-kasse-pflegefamilie-statt-heim-_arid,477500.html