Bergstraße. Strafrechtlich ist die Akte nach dem Richterspruch gegen zwei ehemalige Mitarbeiterinnen der Diakoniestation Bensheim-Zwingenberg fürs Erste geschlossen. Das Duo hatte, wie berichtet, über einen Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 1,4 Millionen Euro auf ein eigentlich stillgelegtes Konto des Fördervereins überweisen lassen und sich mit den Zahlungseingängen die eigenen Taschen gefüllt. Aufgeflogen ist der serienmäßige Betrug im Januar 2013 - nachdem die ehemalige Pflegedienstleiterin in Rente gegangen war.
"Schnickschnack-Rechnungen"
Dass die Geldquelle für die heute 66-jährige frühere Pflegedienstleiterin und ihre Komplizin so lange sprudelte, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hat, offenbart schwerste Fehler im System. Die Kritik des Bensheimer Richters zielt nicht zuletzt auf das Kreisjugendamt. In der Urteilsbegründung musste sich die Behörde den Vorwurf der Schluderei gefallen lassen. Die Rede war von "Schnickschnack-Rechnungen" für Leistungen im Rahmen der Familienhilfe, die so nicht hätten beglichen werden dürfen. Starker Tobak aus dem Mund eines Richters, der dem Jugendamt damit ein miserables Zeugnis ausgestellt hat.
"Unangemessene" Schelte
Die Schelte des Gerichts will die Kreisspitze nicht auf ihren kritisierten Mitarbeiterinnen sitzen lassen. Den Rundumschlag aus dem Amtsgericht hält Landrat Matthias Wilkes für "völlig unangemessen". Dass die Veruntreuung von öffentlichen Geldern lange Zeit niemandem auffiel, geht nach Einschätzung des Behördenchefs "voll auf die Kappe des Diakonievereins". Der nämlich habe es versäumt, das Uralt-Konto aus dem Verkehr zu ziehen. Zu allem Überfluss bestanden offenbar Verfügungsberechtigungen, die es dem betrügerischen Duo erst ermöglichten, munter Geld abzuheben.
Die doppelte Nachlässigkeit kommt den Diakonieverein teuer zu stehen. Dass die beiden Verurteilten die von ihnen veruntreuten Beträge in voller Höhe zurückzahlen können, ist nämlich mehr als unwahrscheinlich. Der Großteil des Geldes ist verprasst.
Ein Schaden für die öffentliche Hand ist dabei nicht entstanden, behauptet Kreiskämmerer Matthias Schimpf. Die in Rechnung gestellten Leistungen seien tatsächlich erbracht worden - freilich, ohne dass die Diakonie dafür auch nur einen Euro gesehen hat.
Fehlende Unterschriften
Fakt ist, dass im Jugendamt täglich mehrere Dutzend Rechnungen zur Zahlung angewiesen werden. Im speziellen Fall führten Plausibilitätsprüfungen zwar zu gelegentlichen Rückfragen beim Leistungserbringer. Einen Anlass, Verdacht zu schöpfen, habe es aber nicht gegeben, nehmen der Landrat und sein Stellvertreter ihre Mitarbeiter in Schutz. Monierte Rechnungen seien anstandslos korrigiert worden - fatalerweise von den Verurteilten selbst. Zu ihnen bestand offenbar ein über Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis. Nur so konnte es passieren, dass fehlende Unterschriften von Leistungsempfängern nicht nachgereicht werden mussten - eine Gutgläubigkeit, die dem betrügerischen Duo sein Geschäft erleichterte. Damit sich Schlupflöcher wie diese nicht mehr auftun, soll künftig vor einer Zahlungsanweisung genauer hingesehen werden, ob alle Formalien korrekt erfüllt sind.
Dass dies wenigstens stichprobenartig geschah, brachte den Schwindel schließlich an den Tag. Stutzig wurde man in der Diakoniestation erst im Januar vorigen Jahres - aufgrund einer Nachfrage aus dem Kreisjugendamt. Dabei fiel auf, dass statt der auf der Rechnung benannten pflegebedürftigen eine andere Person "im Auftrag" die Leistung bescheinigt hatte - auf einem Vordruck mit der von der Diakonie nicht mehr benutzten Bankverbindung. Das freilich war für die Mitarbeiter im Jugendamt nicht zu erkennen, weist der Landrat jegliches Mitverschulden zurück.
Schläfriger Amtsschimmel?
Wäre es anders, so seine Argumentation, hätte der Kreis nicht mit Erfolg Rückforderungsansprüche "aufgrund einzelner Ungenauigkeiten" bei der Abrechnung durchsetzen können. Über die zehn Jahre addierte sich so ein Betrag von mehr als 70 000 Euro zulasten des Diakonievereins und zugunsten der Kreiskasse.
Als weiteres Indiz dafür, dass das vom Richter gezeichnete Bild vom "schläfrigen Amtsschimmel" im Landratsamt daneben liegt, führt Wilkes diesen Sachverhalt ins Feld: Zwar kam der Großteil des Millionenbetrags, der nach und nach auf dem unbemerkt vor sich hinschlummerenden Fördervereins-Konto landete, aus dem Jugendamt. Aber auch Privatpersonen und Krankenkassen hätten ohne Argwohn Geld für in Rechnung gestellte Leistungen dorthin überwiesen.
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