Interview - Nogida-Mitorganisator Christoph Nestor hofft nach der Abschlusskundgebung auf eine Reaktion aus der Politik

"Die Stillen mehr erreichen"

Von 
Christian Beister
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3000 Menschen nahmen bei der ersten Nogida-Kundgebung durch die Hauptstraße teil - wenige Tage nach dem Attentat von Paris.

© Rothe

Das Bürgerbündnis Nogida ("Notleidende offenherzig in die Gemeinschaft in Deutschland aufnehmen") hat am Montagabend seine letzte Kundgebung abgehalten. "Nogida ist ein Zeichen, das wir in den Alltag mitnehmen", sagt Mitorganisator Christoph Nestor auf die Frage, was von den Demonstrationen gegen die islamkritische Pegida übrigbleibt.

Herr Nestor, die Pegida machte zuletzt vor allem durch Streitigkeiten in der Führungsebene auf sich aufmerksam - ein perfekter Zeitpunkt zum Abschluss von Nogida?

Christoph Nestor: Wir hatten anfangs gesagt, wir veranstalten drei Kundgebungen und sehen dann weiter. Jetzt haben wir das Gefühl, dass wir geschafft haben, was wir wollten: Wir haben ein Zeichen gesetzt und deutlich gemacht, dass hinter Pegida Organisatoren stehen, die wirres Zeug reden und gefühlte Ängste ansprechen. Darum ging es uns. Es ist in Ordnung, jetzt aufzuhören und die Gedanken von Nogida weiter in den Alltag zu tragen.

Wie kann das aussehen?

Nestor: Indem Bürger Zivilcourage zeigen und an Stammtischen auch einmal widersprechen. Diesen Mut wünsche ich vielen Menschen. Außerdem geht es um die Frage, was dieses Land braucht: Und das ist die Einbeziehung derjenigen Menschen, die sich nicht artikulieren können. Solche sind Pegida nachgelaufen. Politiker sollten mehr erkennen, dass diese Mitbürger auch wahrgenommen werden wollen. Ein Problem ist etwa die Wohnungsnot. Da muss man klar machen: Das liegt nicht an den Flüchtlingen, sondern an der Wohnungspolitik. Dass Teile der Bevölkerung manche Politiker nicht verstehen, kann ich nachvollziehen. Aber man sollte dann nicht auf die falschen Barrikaden gehen.

Die Politik sollte also auf die Pegida-Anhänger zugehen?

Nestor: Ja, diese Menschen sind nicht die Buhmänner. Das sind die Organisatoren.

Zu den drei Nogida-Kundgebungen kamen insgesamt 4200 Teilnehmer - für Sie überraschend?

Nestor: Man muss das realistisch sehen: Die erste Demo mit 3000 Teilnehmern war eine sehr emotionale und berechtigte Reaktion auf die Anschläge von Paris. Sonst wären nicht so viele gekommen. Mal davon abgesehen, dass die Kundgebungen völlig improvisiert waren - die Teilnehmerzahl ist zweitrangig. Wichtiger ist die Botschaft, die aus der Bürgerschaft ausgesendet wurde.

War im weltoffenen Heidelberg diese Botschaft nötig?

Nestor: Ich glaube nicht, dass jemand den Mut hätte, in Heidelberg eine Pegida-Kundgebung anzumelden. Da würde sich gleich sehr viel mehr Protest formieren. Aber wir sind hier in Heidelberg nicht auf der Insel der Glückseligen. Deswegen bin ich auch froh, dass Landrat Stefan Dallinger am Montag gesprochen hat: Denn in seinem Revier weht der Wind schon etwas anders. Wir müssen das wahrnehmen. Überall in Deutschland gibt es Menschen, die Angst vor dem Abstieg haben. Und ich finde, viele Politiker erfüllen ihre Verantwortung nicht, die Dinge so zu erklären, dass sie die Leute auch verstehen.

Sind die Menschen politikverdrossen?

Nestor: Nicht pauschal. Aber wenn man zu wenig verständlich erklärt, kann man auch nicht erwarten, dass verstanden wird.

Sollte auch innerhalb der Gesellschaft mehr miteinander gesprochen werden?

Nestor: Das ist die Chance der Bürgergesellschaft jenseits der Politik. Es gibt viele Menschen, die ihre Zeit ehrenamtlich investieren. Hier liegt das Kapital für Solidarität und Gemeinschaft. Und hier muss die Politik Unterstützung leisten.

Fehlt es an finanzieller Hilfe für Vereine im sozialen Bereich?

Nestor: Der Stellenwert ehrenamtlicher Arbeit - gerade im Sozialbereich - kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Arbeitskreis Asyl ist zum Beispiel ein Vorbild. Das sollte mehr gefördert werden.

Was bleibt darüber hinaus von Nogida?

Nestor: Wir müssen die Erinnerung wach halten und die Mühe der Ebene auf uns nehmen - also auch in Heidelberg viel mehr die stillen und die einfachen Menschen erreichen und nicht nur die Weltöffentlichkeit als Exzellenz-Standort.

Christoph Nestor

Der 62-Jährige hat mit einem Kreis von rund 30 Personen die Nogida-Kundgebungen ins Leben gerufen.

Nestor ist seit 1990 Geschäftsstellenleiter des Mietervereins Heidelberg.

Der gebürtige Freiburger studierte Geschichte, Politische Wissenschaften und Geographie in Bonn und Heidelberg.

Von 1987 bis 1997 saß er für die Grün-Alternative Liste (GAL) im Gemeinderat.

Zitate der letzten Kundgebung

"Treten Sie ein in Gespräche - auch mit Menschen, die Ängste und Sorgen haben!" (Landrat Stefan Dallinger)

"Flüchtlinge brauchen am wenigsten das Gefühl, nicht willkommen zu sein." (Rabbiner Janusz Pawelczyk-Kissin)

"Toleranz und Weltoffenheit - das ist Heidelberg. Ich sehe es als unser Erbe an, das weiterzuführen." (Abby Hagie, Schülersprecherin IGH)

"Wir müssen endlich aufhören, Flüchtlinge als ökonomischen Faktor zu begreifen." (Hera Sandhu, Studierendensprecherin der Universität)

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