Oftersheim. Johann Schmitz drückt die zierliche Hand seiner Frau Maria. Beide lächeln immer wieder, doch das Lächeln scheint zu oberflächlich, um authentisch zu wirken. Hinter dieser papierenen Fassade steckt viel Trauer, Resignation, stumme Verzweiflung. Zu schwer haben sich die letzten neun Jahre in ihre Psyche eingebrannt. Neun Jahre, in denen sie nach ihrem seit dem Dreikönigstag 2006 verschwundenen Enkel Felix suchen. Am Montag gedenken weltweit, am Tag des vermissten Kindes, unzählige Menschen all jenen jungen Erdenbürgern, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht wieder zu ihren Eltern zurückgekehrt sind. Felix Heger aus Oftersheim ist einer der vielen, die dem Gedenktag ein Gesicht geben. Aus diesem Grund haben wir uns nochmals mit seinen Großeltern getroffen, um die vergangenen Jahre Revue passieren zu lassen.
"Ich bin immer noch fest überzeugt, dass Felix lebt - bis das Gegenteil bewiesen werden kann", sagt Johann Schmitz. Dass ihm sein Vater Michael, der ihn am Dreikönigstag vor neun Jahren nicht wieder, wie vereinbart, zu seiner von ihm getrennten Frau zurückgebracht hat, etwas angetan haben könnte, schließt Schmitz aus: "Er wollte unserer Tochter - und vielleicht auch uns - einen Denkzettel verpassen, wollte vielleicht mit Felix untertauchen, denn er redete immer wieder mal vom Aussteigen", sagt Johann Schmitz. Er wäre vielleicht mit dem Kleinen nach Portugal, wo er schon einmal längere Zeit war, wäre aber wieder zurückgekommen und hätte Felix unversehrt seiner Mutter übergeben.
Ominöse Umstände
"Was aber letzten Endes tatsächlich passiert ist, bleibt wohl für immer im Dunkeln", sagt Johann Schmitz - und es klingt auf einmal ziemlich resigniert. Denn schon alleine die ominösen Umstände, die zum Tod von Michael Heger geführt haben, die Medikamentenpackungen und die Flaschen mit Alkohol, die man neben der Leiche gefunden hatte, all das passe nicht zusammen, sagt auch Maria Schmitz. Denn Michael Heger trank keinen oder nur sehr wenig Alkohol, und auch bei der Obduktion des Leichnams wurden keinerlei Rückstände auf Alkoholkonsum oder Medikamentenmissbrauch entdeckt.
"Außerdem geht selbst die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Todesursache bis heute unklar ist." Dass er sich, wie auch vermutet wurde, selbst getötet hat, stehe außer Frage, denn schon im Jahr 2006 hatte der Staatsanwalt dies ausgeschlossen. "Es muss etwa im Schwarzwald passiert sein, irgendwas, das er nicht mehr hat steuern können", sagt Schmitz.
Auf jeden Fall, ist der 79-Jährige überzeugt, habe Michael Heger noch dafür gesorgt, dass Felix bei den frostigen Temperaturen eine warme Unterkunft bekam, denn er sei ein sehr vorsorglicher Mensch gewesen - und Felix habe er über alles geliebt. "Was uns Kraft gibt", sagt Schmitz, "ist, dass wir beide glauben, dass Felix noch am Leben ist. Ich wäre der Letzte, der ihn aus seiner jetzigen Familie herausreißen würde", sagt er - denn er glaubt, dass er gar nicht weit entfernt von ihm und seiner Frau lebt.
Auch ist sich Johann Schmitz sicher: "Es gibt in unserer unmittelbaren Umgebung, im ehemaligen Bekanntenkreis von Michael, Menschen, die mehr wissen als wir, uns dies aber nicht sagen wollen." Und deshalb hätten ihn viele Menschen darin bestärkt, nicht aufzugeben bei der Suche nach dem Kleinen, außerdem wurde der Fall in Sendungen wie "Brisant", "Menschen bei Maischberger" oder "Aktenzeichen XY ungelöst" bundesweit bekannt, über soziale Netzwerke und durch Privatinitiativen wie "www.felix-info.net" wurde das Thema all die Jahre aktuell gehalten.
Bleibende Narben
Vor allem der Tod Michael Hegers und die Umstände, die zu ihm geführt haben könnten, diesen Dingen sei man spätestens im Frühjahr 2006 noch nachgegangen, eine Spur, die zu Felix führt, habe man nicht mehr verfolgt. "Das Schicksal von Felix hat da schon keine Rolle mehr gespielt", sagt Johann Schmitz und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Das Hoffen, Felix doch schon bald wieder in die Arme zu schließen, die vielen Vor-Ort-Termine rund um den Wiedenfelsen im Bühlertal - all das hat bei Maria und Johann Schmitz bleibende Narben hinterlassen.
Gesundheitlich angeschlagen, bekamen beide vergangenes Jahr von ihrem Psychotherapeuten den Rat, ihr Leben nicht weiterhin gänzlich vom Thema Felix vereinnahmen zu lassen. "Wir haben begonnen, auch ein Stück weit an uns zu denken, ich werde bald 80, wer weiß, wie lange uns der liebe Gott noch gibt?", fragt Johann Schmitz. Tochter Manuela hat mittlerweile noch zwei Kinder bekommen, Paula ist sieben, Jana fünf Jahre alt, und Felix ist auch bei ihnen immer ein Thema.
Immer wieder fragen sie nach ihrem großen Bruder, stellen sich vor, wie er vom Wesen her ist. Sie hätten so viele Fragen an ihn. Die Zeit hat viele Wunden verheilt, zurückgeblieben sind jedoch die Narben als Mahnmal eines mysteriösen Falls mit einem toten Vater und einem vermissten Jungen, der heute zwölf Jahre alt wäre beziehungsweise, wie das Ehepaar Schmitz es ausdrückt, "zwölf Jahre alt ist".
Trotz aller Unsicherheiten glauben Maria und Johann Schmitz fest daran, dass Felix noch lebt. Und das gibt ihnen Kraft, weiter auf ihn zu warten - jeden weiteren Tag. Seit über neun Jahren.
Felix und Michael Heger - die Chronologie eines ungeklärten Vermisstenfalls
Am Dreikönigstag des Jahres 2006 holt Michael Heger Felix bei dessen Mutter Manuela, von der Heger getrennt lebt, ab. Am Sonntag, 8. Januar, bringt er Felix nicht - wie verabredet zu ihr zurück. Als sie ihren Ex-Mann nicht erreichen kann, erstattet die Mutter Anzeige gegen Michael Heger wegen Verdachts der Kindesentziehung.
Am Montag, 9. Januar, nimmt die zuständige Behörde die Ermittlungen auf. Die Wohnung wird durchsucht, Nachbarn und Verwandte befragt.
Dienstag, 10. Januar: Trotz intensiver Fahndungen bleiben der vermisste 39-Jährige und sein damals zweijähriger Sohn verschwunden. Teilweise durchkämmen 25 Polizeikräfte, zeitweilig sogar per Hubschrauber, das Gebiet zwischen Schwetzingen, Hockenheim und Walldorf - ohne Erfolg. Inzwischen wird bundesweit nach den Vermissten gesucht. Michael und Felix waren das letzte Mal am 6. Januar gegen Mittag oberhalb der Grillhütte von einem Bekannten gesehen worden.
Am 10. Januar wird Hegers weißer Opel Astra älteren Baujahrs im Bereich Bühl und somit knapp zwei Fahrstunden von Oftersheim entfernt, verlassen aufgefunden. Das Auto stand dort bereits seit Freitag, 6. Januar. Die Polizei Rastatt/Baden-Baden übernimmt die Fahndung und sucht im Bereich Wiedenfelsen zwischen Bühlertal und der Schwarzwaldhochstraße nach den beiden.
Freitag, 13. Januar: Männer der Bergwacht finden ein provisorisches Biwak in einer Felsnische, zudem Papiere, die Geldbörse Hegers sowie einen Kinderhandschuh.
Montag, 16. Januar: Noch einmal wird am Wochenende mit einem Großaufgebot nach Vater und Sohn im Höhenwald beim Wiedenfels oberhalb von Bühlertal und in Richtung Sand gesucht.
Freitag, 20. Januar: Die Suche nach den zwei Oftersheimern verlagert sich nach mehreren Zeugenhinweisen auf den Bereich Iffezheim und in Richtung Baden-Baden - jedoch ohne Erfolg.
Samstag, 21. Januar: Die zunächst in einem Zimmer eines leerstehenden Hotels im Bereich Bühlertal gefundenen Spuren stammen nicht von Felix oder Michael Heger. Die Fahndung konzentriert sich weiterhin auf das deutsch-französische Grenzgebiet um Iffezheim.
Am Sonntag, 26. Februar, wird von einem Hund eines Wanderers im Wald oberhalb eines Weges im Bereich der Gertelbach-Wasserfälle die Leiche eines unbekannten Toten aufgefunden. Bei der Obduktion in Freiburg wird der Tote als Michael Heger identifiziert.
Vom kleinen Felix fehlt mehr als neun Jahre nach dem ominösen Verschwinden des Kindes jede Spur. wi
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