Eine Leiche im Keller

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Kaum zu übersehen: Krimi-Autorin Ingrid Reidel - hier im schaurig-schönen Keller ihrer Weinheimer Wohnung - mag schwarzen Humor.

© Görlitz/ü

Tag drei nach dem Tod der Großmutter. Es ist dunkel, als Enkelin Ingrid Reidel mit einer Freundin die Wohnung der alten Frau besichtigt. 96 Jahre alt war die Oma geworden, es hat sich einiges angesammelt. Mehr schlecht als recht erhellt eine 15-Watt-Birne das Schlafzimmer.

Die Frauen öffnen eine Schranktür, dann eine Kiste. "Da starrten uns 20 abgetrennte Puppenköpfe an", erinnert sich Reidel. Keine Ahnung, woher die Oma diese hatte - oder warum. Im nächsten Karton: eine Art Vase aus Metall. Beim Hochheben fällt sie zu Boden, Asche verteilt sich wie feiner Sand ringsherum. Im Licht der Smartphones wird das Gefäß erkundet, es trägt die Aufschrift "Gretel". Hier also ruhte die Großtante.

Ein Omen fürs Schreiben

Nach jenem Besuch im Haus der Großmutter im Jahr 2012 war Ingrid Reidel "völlig fertig", wie sie gesteht. Ein Beruhigungsschnaps später steht für die Enkelin fest: "Das war ein Omen. Ich wusste auf einmal genau, was ich schreiben will: Krimis." Fünf Jahre später hat die 57-jährige Weinheimerin rund 20 Kurzkrimis geschrieben und war für etliche Preise nominiert, darunter zweimal beim Odenwaldkrimi-Wettbewerb.

Diesen Herbst dann der vorläufige Höhepunkt: Beim Krimi-Festival "Tatort Eifel" gewinnt sie den mit 1500 Euro dotierten Deutschen Kurzkrimi-Preis. Die Namensvetterin der bekanntlich ebenfalls in Weinheim lebenden Krimi-Autorin Ingrid Noll steht damit in einer Reihe mit Bestseller-Autorin Melanie Raabe ("Die Falle"), die den Eifel-Wettbewerb 2011 gewann.

In die Wiege gelegt

Im Unterschied zu Raabe ist das Schreiben für Ingrid Reidel derzeit freilich nicht mehr als "ein Hobby". Schon bevor der Urnen-Fund ihre literarischen Ambitionen Richtung Krimi lenkte, ließ die gelernte Erzieherin ihrer Kreativität beim Verfassen von Geschichten für Kinder freien Lauf. Das war ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt.

"Mein Vater war Dorfschullehrer in Oberflockenbach", berichtet Reidel. Die Odenwälder Sagen, die er erzählte, haben sie immer fasziniert. 2010 vertiefte sie ihre Liebe zum Schreiben per Fernstudium, wollte so auch ein Stück über den Tod ihres Vaters hinwegkommen. Erstmals befasste sie sich unter professioneller Anleitung mit Fragen wie Stil, Aufbau und Figurenentwicklung. "Das hat mir viel gebracht."

Als sie von den "Mörderischen Schwestern" las, einem Netzwerk von Krimi-Autorinnen und Förderinnen, dem auch Ingrid Noll angehört, schloss sie sich der Regio-Gruppe Rhein-Neckar an. Gemeinsame Lesungen und Buch-Projekte mit den "Deltasisters" motivierten die Weinheimerin zusätzlich. Derzeit wagt sich Reidel erstmals an ein längeres Werk. Im Mittelpunkt: Eine pensionierte Krankenschwester, die ihre Rente als Leichenwäscherin aufbessert. "Sie driftet gern ins Skurrile ab", sagt Reidels Lebensgefährte Volker Nau und beide lachen.

Schwarzer Humor ist eine Leidenschaft, die sie teilen - gern auch vor Publikum. Mehr aus Versehen - "Ich hatte eine Null zu viel eingegeben" - ersteigerte Reidel im Internet eine alte Drehorgel - jetzt dient das Instrument die "Krimidrehorgel" dem Duo bei gemeinsamen Leseabenden als musikalisches Requisit. Schaurig-schön hergerichtet wird für solche Gelegenheiten auch der eigene Keller, wo ein Schädel von der Decke baumelt und auf dem Boden eine "Leiche" mit Messer in der Brust liegt.

Es darf auch Blut fließen

Ganz so abgedreht geht es in Reidels Kurzgeschichten dann doch nicht zu, schränkt die Autorin selbst ein. Skurril dürfe es sein, Blut fließen auch - "aber nur, wenn es der Geschichte dient", betont sie ernst. "Ich schreibe nicht einfach drauf los. Bevor ich anfange, steht der Plot." Genaue Recherche sei wichtig, dafür reist sie mit ihrem Partner auch umher und studiert Land und Leute.

Und: Die Grundidee zur Story muss einen möglichst alltäglichen Hintergrund haben, verrät sie ihr persönliches Erfolgsrezept. "Ich überlege mir dazu: Was wäre für mich ein Problem?" Sie zeigt über ihren Schreibtisch zum Wohnzimmerfenster hinaus: "Wenn mir zum Beispiel mein Nachbar den Blick auf die Weinheimer Burgen verbauen würde", sinniert sie und ergänzt mit einem Augenzwinkern: "Den würde ich umbringen!" Das war die Idee zur Eifel-Siegergeschichte "Schöne Aussicht". agö/ü

Mehrfach ausgezeichnet

Ingrid Reidel (Jahrgang 1960) ist gebürtige Weinheimerin und lebt auch in der Zweiburgenstadt.

Zweimal war sie beim Odenwaldkrimi-Wettbewerb nominiert, 2016 wurde sie mit dem sechsten Platz beim internationalen Literaturfestival der "Art Experience" in Österreich ausgezeichnet.

In diesem Jahr gewann sie den ersten Preis beim Kurzkrimi-Wettbewerb "Tatort Eifel".

Reidel ist Mitglied bei der Vereinigung der "Mörderischen Schwestern".

Veröffentlicht hat sie ihre Geschichten in den Bänden "Killer for one: Krimis aus dem Land, wo Blut und Äppelwoi fließen . . ." (Crimetime-Verlag) und "Tödliche Schlückchen: Aromatische Kurzkrimis aus Baden" (Verlag Regionalkultur). agö/ü

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