Auerbach. Sind gentechnisch veränderte Pflanzen, Obst und Gemüse tatsächlich Teufelswerk – ein Mysterium, von dem man am besten die Finger lässt? Ist Gentechnik naturfeindlich, ungesund, schlecht für die Menschen und irgendwie befremdlich und abstoßend? Die Mehrzahl der Bundesbürger hat noch immer – berechtigt oder unberechtigt – große Vorbehalte gegenüber gezüchteten Nahrungsmitteln.
Und auch der Europäische Gerichtshof hat die Pflanzenforscher mit seinem Urteil aus dem Jahr 2018 ausgebremst und ihnen enge Handschellen angelegt. Demnach dürfen Wissenschaftler und Landwirte nur nach einem teuren und langwierigen Zulassungsprozedere entsprechende Verfahren anwenden, in denen mittels der Genschere Erbgut in kleinen Schritten verändert und ebensolches Saatgut auf den Feldern ausgebracht wird.
David Spencer, Science Slammer und Doktorand im Institut für Pflanzenphysiologie Aachen, der zum Thema „Nachhaltiger Pflanzenschutz durch gezielte Veränderungen des Sekundärstoffwechsels“ promoviert, hat eine klare Meinung zu der konträr geführten Diskussion, begründet diese auch und spricht von einer „grünen Revolution“. Er sieht Gentechnik als große Chance für unsere Zukunft – mit ökologischen als auch ökonomischen Vorteilen für Verbraucher und Bauern. Herbizide wie Glyphosat, die alle Pflanzen „plattmachen“, würden durch schädlingsresistente Pflanzen überflüssig, die Umwelt werde geschont, dem Klimawandel weitestgehend getrotzt, neue Anbauflächen rasch erschlossen und CO2 würde eingespart. Der Ertrag für die Landwirte sei weitestgehend gesichert, und für die steigende Weltbevölkerung erschließe sich eine neue Proteinquelle gegen die Hungersnot.
In der Veranstaltungsreihe „Sanner Forum“, in der Experten regelmäßig zu aktuellen Themen referieren und Stellung beziehen, sprach David Spencer vor einem interessierten Publikum über „Grüne Gentechnik – Nutzen und Risiken aus Sicht eines Wissenschaftlers“. Die Vorteile überwiegen dabei seiner Erfahrung nach bei Weitem gegenüber den ebenso deutlich von ihm definierten Nachteilen, wie etwa die Marktdominierung weniger Unternehmen und Probleme bei Kontrolle und Regulierung der Züchtungen: „Ich bin pro Gentechnik und trotzdem voll der Öko.“
Kritik an „unklarer Gesetzeslage“
„Ökolandbau und Gentechnik machen eine nachhaltige Landwirtschaft“, ist der junge Wissenschaftler überzeugt und spricht von einer Symbiose. Zudem sei der volkswirtschaftliche Nutzen erheblich. Auch führende Wissenschaftlicher, darunter mehr als hundert Nobelpreisträger, hätten kürzlich in einem Statement an die EU für den unbedenklichen Einsatz von „grüner Gentechnik“ plädiert. Spencer kritisierte die derzeit „unklare Gesetzeslage“.
Die in Deutschland übliche Lebensmittel-Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ bezeichnete er als irreführend und kanzelte sie als „pseudo-wissenschaftlich“ ab. Als Beleg dafür nannte er unter anderem Fleisch, Milchprodukte und Eier von Tieren, denen gentechnisch veränderte Futtermittel verfüttert werden, die aber weder unter die Regelung der Zulassung fallen noch seien sie dementsprechend gekennzeichnet.
Dass Gentechnik und moderne Pflanzenzüchtung keine Erfindungen des 20. Jahrhunderts sind, sondern seit Jahrtausenden praktiziert werden, machte David Spencer an mehreren Beispielen deutlich: „Der Mensch hat sich schon vor Tausenden von Jahren die Natur zu Nutzen gemacht und die Biodiversität selbst erschaffen.“ Aus Wild- wurden Nutzpflanzen. So sei etwa der Mais durch natürliche Mutation erschaffen worden, und all die zahlreichen Kohlsorten basierten auf einem einzigen gemeinsamen Ursprung. Auch Weizen gab es in der Natur zunächst nicht. Er entstand, so Spencer, aus der Kreuzung zweier Grassorten.
Als weitere Beispiele nannte er Süßkartoffeln, Hopfen, Blaubeeren und viele andere Gemüse- und Obstsorten: „Wir essen schon heute Frankenstein-Gemüse“, frotzelte David Spencer. Die gegen Kartoffelfäule, eine durch Pilze verursachte Krankheit, resistente Kartoffel beispielsweise sei durch Züchtungen zum Wohl der Menschen bereits Realität.
Zum Abschluss seiner ebenso informativen wie unterhaltsamen Einführung in die „grüne Gentechnik“ aus wissenschaftlicher Sicht, sprach sich der Biologe aus Aachen für eine Reform der Gentechnik-Gesetzgebung und eine progressive Agrarwende aus. Die Zuhörer hatten nach dem Vortrag die Gelegenheit, dem Referenten Fragen zu stellen.
Die nächste Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Sanner Forum“ findet am 12. März statt. Dr. Jens-Peter Marscher, Facharzt für Klinische Pharmakologie, Mitglied der American Society of Clinical Oncology und der Europäischen Krebs-Immuntherapie Organisation CIMT, wird über das Thema „Neue Ansätze in der Krebstherapie“ sprechen.
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