Schwanheim. Die Frauen zeigten Bein, die Männer trugen akkurat gestutzte Schnauzer, die Kleidung war von stilgebendem Chic bestimmt. So jedenfalls ein gern gezeichnetes Bild. Einmal Zwanzigerjahre und zurück, eine Zeitreise kann durchaus unterhaltsam sein. Die Epoche ist, das zeigt die Rückschau, von besonderer Prägung gewesen. Heute jedenfalls ist gerne von den „Goldenen Zwanzigern“ die Rede, und die leben in ihrer Musik fort.
Es war mehr als ein Konzert, zu dem jetzt der Singkreis Schwanheim gemeinsam mit Gästen geladen hatte. In weiten Teilen war der Abend, genauer: Waren die Abende, eine bunte Revue, eine ebenso große wie großartige Gala, die das Publikum in vergangene Zeiten katapultierte oder aber, um im Thema zu bleiben, auf den Wellen der Musik dorthin trug.
Die Leitung hatte Cosima Seitz, ausgebildete Konzertsängerin, Chorleiterin und Gesangslehrerin. Wunderbar, was sie hier im Zusammenspiel mit Sängern quer durch die Generationen arrangiert hat und was im Miteinander und im Wechsel mit Instrumentalmusikern dargeboten wurde. Facettenreich, stimmig, ein Klangerlebnis pur. Und es gilt auch: Prächtige Kostüme kleideten die Künstler, die Mode der Zwanziger bestimmte das Bild. Hingucker allerorten. Optik und Gesang gingen so untrennbar miteinander einher.
Mit dem musikalischen Abend begeisterte der Singkreis als große Formation und der Kinderchor ebenso wie kleinere Gruppen. Schon bei der Premiere am Samstagabend war das Dorfgemeinschaftshaus des Bensheimer Stadtteils gut besucht. Und am Sonntag dann, bei der zweiten Auflage, war die Bestuhlung noch dichter. Freie Plätze? Fehlanzeige. Großes Kino, großartige Stimmen, großartige Stimmung. Beifall, Respekt für alle Beteiligten.
Der Funke sprang sofort über
Die Akteure bauten sich im Wechsel vor der Bühne auf. Ganz nah am Publikum, ganz ohne Distanz. Der berühmte Funke sprang schon im ersten Moment über. Begeisterung machte sich breit und begleitete allesamt quer durch den Abend. Die Bühne selbst war für diese Stunde zum großen Zimmer geworden, durchgängig möbliert und dekoriert im Stil der Zwanziger. Auch das ein herrliches Bild. Von dort moderierte Reiner Sommer die Veranstaltung. Angenehm unaufdringlich und wohldosiert schlug er den Bogen in die Vergangenheit, die plötzlich sehr gegenwärtig schien, erinnerte an die Zwanziger, an zeitgeschichtliche Ereignisse und ordnete die Musik ein. Es war das muntere Plaudern mit sonorer Stimme, und es war kurzes szenisches Spiel, das so den Rahmen für einen weit gespannten musikalischen Bogen schuf.
Singkreis, Kinderchor, Teenie-Gruppe, Männerquartett, Bläserensemble, Duos und Solisten (Gesang und Instrumental) wechselten sich ab, vielfach begleitet von Geige- oder auch Klavier. Es waren durchweg wunderbare Klangerlebnisse, die hier in gekonnter Interpretation und Mischung dargeboten wurden. Wiederholt war das Publikum mit eingebunden. Mitmachen, mitsingen, alles war möglich.
Und dann waren da diese bekannten Melodien, bekannte Texte, die zum Schwelgen einluden. „Wochenend und Sonnenschein“, „Puttin on the Ritz“, „Im weißen Rössl“ – all das und vieles mehr aus den Zwanzigern bis hin zu Stücken aus der Dreigroschenoper hatte Platz in dem abendfüllenden Programm, dessen Überschrift gleichfalls der Musik der Zeit entliehen war: „Was machst Du mit dem Knie, lieber Hans?“ Ein Titel, der selbstredend intoniert wurde. Die Abfolge von Liedern, auch von Texten, wurde zur stimmigen Mischung, zur gelungenen Komposition. Anerkennung auch hierfür.
Schnellkurs in Charleston
Und was gab’s noch? Einen Schnellkurs im Charleston-Tanz. Fußspitzen zusammen, Fußspitzen auseinander, Knie auseinander, Knie zusammen, Arme nach oben, Arme zur Seite. Das im steten Wechsel zur Musik, immer schön im Takt bleibend. Nicht einfach, zumindest nicht für jeden, aber sehr unterhaltsam und immer ein Hingucker. Cosima Seitz gab Anweisungen, sie rief dem Publikum zu: „Macht mal mit!“ In den Reihen wurde also, so es der Platz zuließ, fleißig Charleston geübt. Die Zwanziger schienen in diesem Moment – wie überhaupt in diesen Stunden – greifbar und spürbar.
So geht gelungene Unterhaltung jenseits der digitalen Welt von heute. Eine Zeitreise kann, wie in Schwanheim zu erleben war, von wohltuender Leichtigkeit bestimmt sein, ohne dabei auf Tiefgang zu verzichten. Der Zuspruch gab Cosima Seitz und allen Akteuren und Machern des Abends Recht.
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