Coronavirus - Rolf van Dick, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt, über Verschwörungsmythen, Unsicherheiten in Krisenzeiten und abenteuerliche Erklärungsansätze

Der Glaube an machtvolle Gruppen, die angeblich Böses tun wollen

Von 
Sina Roth
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Bergstraße/Frankfurt. Auf Facebook oder Twitter ploppen sie zwischen Fotos und Beiträgen von Freunden auf und ziehen die Aufmerksamkeit vieler Nutzer auf sich. Die Rede ist von Verschwörungsmythen. Aber warum begegnen wir eigentlich gerade jetzt, in Zeiten von Corona, so vielen von ihnen im Netz, welche Strukturen verbergen sich dahinter, und wie kann man besagte Mythen als solche entlarven?

Professor Rolf van Dick, Leiter der Sozialpsychologie und Vizepräsident der Goethe-Universität Frankfurt, hat sich aufgrund der aktuellen Situation mit diesem Thema beschäftigt und klärt im Interview mit dieser Zeitung die großen und kleinen Fragen rund um die Corona-Mythen im Netz.

Herr van Dick, was ist eigentlich ein Verschwörungsmythos?

Rolf van Dick: Zunächst einmal handelt es sich dabei um Erklärungsansätze, Erklärungsmuster, laut denen immer machtvolle Gruppen etwas angeblich Böses tun. Oftmals werden solche Verschwörungen als Theorien bezeichnet, ich bevorzuge allerdings den Begriff Mythen. Die Bezeichnung als Theorie vermittelt den Eindruck, es handle sich um Wissenschaft; dabei sind diese Erklärungsansätze das genaue Gegenteil. In der Wissenschaft werden Hypothesen aufgestellt, die auch widerlegt werden können. Bei einer solchen Verschwörung wird jedoch der Mythos in den Raum gestellt und von den Anhängern immer wieder auf Neue bestätigt.

Was ist der verrückteste Mythos, den Sie selbst aufgeschnappt haben, und wann wird es gefährlich?

Van Dick: Dabei denke ich zum Beispiel an die Mondlandung, die in den Augen der Verschwörungsanhänger gar nicht stattgefunden haben soll. Solche Mythen bringen einen durchaus zum Lachen. Wenn es aber etwa um Demos gegen eine Corona-Impfpflicht geht, obwohl es Letztere nicht einmal gibt, und dieser Mythos zudem der Impfgegner-Szene Auftrieb verleiht, dann hört es definitiv auf, lustig zu werden.

Warum begegnen wir gerade jetzt so vielen dieser abenteuerlichen Erklärungsansätze im Netz, und was und wer steckt dahinter?

Van Dick: In einer Krisensituation, wie wir sie aktuell in der Pandemie erleben, können wir alle nicht mit Sicherheit sagen, welche Auswirkungen die Krise noch auf uns, unsere Familie oder unser Arbeitsumfeld haben wird. In diesen Zeiten der Ungewissheit klammern wir uns an Strohhalme, die uns in der Regel Autoritäten wie Politiker liefern. Wenn Menschen hier nicht die Antworten finden, die sie hören wollen, dann sind sie dazu geneigt, Erklärungen zu glauben, die ihnen vermeintlich einfache Antworten auf ihre Fragen liefern. Dabei setzen bestimmte Gruppen Verschwörungsmythen gezielt dazu ein, Angst zu erzeugen, um letztlich selbst in irgendeiner Art und Weise davon zu profitieren – beispielsweise, indem sie das bestehende System destabilisieren, um Wahlergebnisse zu beeinflussen. Die Verbreitung über die so genannten Sozialen Medien funktioniert in diesem Fall übrigens deshalb so gut, weil diese von der Schnelligkeit leben. Wir lesen die Beiträge nicht aufmerksam durch, schnappen hier und da etwas auf, wobei vor allem die negativen Aspekte hängenbleiben. Durch Algorithmen wird außerdem unser eigenes Weltbild immer wieder bestätigt, da ohnehin immer Beiträge in unserem Newsfeed auftauchen, die unserer Meinung und unseren Ansichten entsprechen. So kann sich schnell ein Bild verfestigen, ohne dass ich es selbst wahrnehme. Die so genannten Sozialen Netzwerke fungieren hier als Verstärker.

Wer ist besonders anfällig?

Van Dick: Anfällig sind besonders unsichere Menschen, die sich dadurch erhoffen, die Welt zu erklären und so auch Kontrolle über das eigene Leben zu bekommen. Für diese Menschen ist es einfacher, böse Mächte klar zu identifizieren, als ihre eigene Unsicherheit zu akzeptieren. Dabei gibt es zum einen die große Gruppe der Mitläufer. Wenn sie auf Facebook einen solchen Beitrag entdecken und zum Beispiel keiner der Freunde darauf reagiert, dann gehen sie davon aus, dass dieser Erklärungsansatz richtig sein muss. Daneben gibt es allerdings auch den harten Kern, der oftmals stark mit Sündenböcken oder antisemitischen Mustern arbeitet und der teilweise auch nicht vor Gewalt zurückschreckt.

Angenommen, ich werde im Netz oder auch im Freundeskreis mit einem solchen Mythos konfrontiert: Wie kann ich ihn als solchen entlarven, und wie sollte ich darauf reagieren?

Van Dick: Zunächst einmal ist es nicht immer einfach, Mythen als solche zu entlarven. Denn oftmals sind sie mit wahren Aussagen gespickt, haben also einen wahren Kern, den man auch nicht so leicht widerlegen kann. Wichtig ist dabei vor allem der kritische Umgang mit den Medien. Wir sollten uns immer fragen, woher die angegebenen Informationen und Zahlen stammen, welche Quellen es gibt. Auch der gesunde Menschenverstand kann weiterhelfen, denn Zahlen müssen nachvollziehbar sein. Hellhörig werden sollte man zum Beispiel, wenn mit extrem kleinen oder extrem großen Zahlen argumentiert wird. Wenn man solche Verschwörungen im Netz entdeckt, dann hilft es wenig, sich darüber beispielsweise in den Kommentaren aufzuregen oder mit Fakten dagegen zu argumentieren. Denn so ordnen Anhänger der Theorie einen direkt auf die Seite der Gegner ein und blocken ab.

Aber irgendwie muss man doch etwas erreichen können?

Van Dick: Etwas mehr bewirken kann man da schon im persönlichen Bekanntenkreis. Man kann Anhänger mit Fragen konfrontieren wie: Warum glaubst du das? Oder: Was bringt es dir? Oft wird nämlich bei genauerem Hinsehen deutlich, dass die eigentlichen Motive gar nicht erfüllt werden, die Anhänger zum Beispiel gar keine Unterstützung und keine Sicherheit in der Gruppe finden, dass es sich vielmehr um eine vermeintliche Sicherheit handelt und sie Sicherheit eher in der Familie oder im Freundeskreis suchen sollten. Durch solche Fragen kann es einem gelingen, Zweifel zu schüren, die dazu führen können, dass die Anhänger diesen Ideen weniger Glauben schenken und die Mythen weniger ernst nehmen.

Glauben Sie, dass ein möglicher zweiter Lockdown Auswirkungen auf den Glauben der Menschen an solche Verschwörungsmythen haben kann? Wenn ja, welche?

Van Dick: Entscheidend ist weniger ein möglicher zweiter Lockdown an sich, sondern vor allem die Art und Weise, wie solche Entscheidungen kommuniziert werden. Anfangs haben Medien und Politiker im Großen und Ganzen mit einer Stimme gesprochen. Bei den Lockerungen war das dann schon gar nicht mehr so klar der Fall. Politiker haben sich mit unterschiedlich starken Lockerungen in den Bundesländern teilweise sehr stark voneinander abgegrenzt. Wichtig ist dabei zu erklären, warum es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dahinter stehen. Virologen und Epidemiologen erlangen jeden Tag neue Erkenntnisse, die als Grundlage für die jeweiligen Entscheidungen dienen. Sie sind beispielsweise der Grund dafür, dass Virologen heute etwas weniger streng sind als noch vor einigen Wochen. Wichtig ist es daher, klar zu kommunizieren, auf welchen neuen wissenschaftlichen Grundlagen entschieden wird. So sind die Menschen weniger dazu geneigt, alternativen Erklärungsansätzen Glauben zu schenken.

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