Interview - Die Bergsträßer SPD-Bundestagsabgeordnete und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht nimmt unter anderem Stellung zum Kampf gegen Hasskriminalität im Netz

„Von rechts die größte Bedrohung“

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Christine Lambrecht berichtet im Interview über die ersten Monate als Bundesjustizministerin und nimmt Stellung zu den Folgen der Thüringen-Wahl und zur Gefahr des Rechtsextremismus. © Funck

Bergsstraße. „Die größte Bedrohung geht aktuell ganz klar vom Rechtsextremismus aus.“ Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kommt direkt auf den Punkt. Im Interview fordert sie einen klaren Blick auf die politische Lage.

Christine Lambrecht nimmt sich Zeit. Eine Stunde spricht die Bergsträßer SPD-Bundestagsabgeordnete über ihre Erfahrungen aus den ersten Monaten als Ministerin, blickt auf die Folgen aus der Thüringen-Wahl, das damit verbundene Überschreiten von Grenzen und erläutert, welche Rolle Frauen in der Politik spielen.

Frau Lambrecht, kurz nach Ihrem Amtsantritt haben Sie sich dem Kampf der Bundesregierung gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz verschrieben. Warum mit solch einem Nachdruck, dieses Thema gibt es doch schon länger?

Christine Lambrecht: Ja, aber es hat im Sommer eine Zäsur gegeben. Das war der Mord an Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten. An dieser Entwicklung kann man sehr genau beobachten, wie Hass und Hetze im Netz in brutale Gewalt – bis hin zum Mord – umschlagen kann.

War die Tat für Sie persönlich auch eine Zäsur?

Lambrecht: Das hat mich unglaublich betroffen gemacht, mir war aber auch klar, dass es bei dieser Betroffenheit nicht bleiben darf. Es musste gehandelt werden, daher habe ich das Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität so schnell auf den Weg gebracht.

Es folgte der Anschlag in Halle, einen Tag vor unserem Gespräch wurde eine mutmaßliche rechte Terrorzelle ausgehoben. Fühlen Sie sich dadurch in Ihrem Kurs bestätigt?

Lambrecht: Absolut. Denn wir merken, dass rechte Gewalt und Hetze immer mehr zunehmen. Ich spreche auch immer öfter mit Kommunalpolitikern, die es nicht mehr ertragen, angefeindet zu werden, und sich deshalb zurückziehen. Darin sehe ich eine unglaubliche Gefahr für die Demokratie. Wenn sich ausgerechnet diejenigen, die sich engagieren und für unsere Gesellschaft stark machen, zurückziehen, dann können wir uns ausrechnen, was von einer Demokratie noch übrig bleibt.

Wie gehen Sie selbst mit Bedrohungen um?

Lambrecht: Als Justizministerin steht man immer ein bisschen im Fokus bestimmter Gruppierungen. Man muss für sich als Mensch einen vernünftigen Umgang damit finden, darf sich nicht davon beeinflussen lassen. Aber ernst nehmen sollte man das schon. Ich bringe alle Bedrohungen zur Anzeige.

Die Gefahr des Rechtsextremismus ist lange bekannt, die damit verbundene Militanz ebenfalls. Wurde das in den vergangenen Jahren verharmlost?

Lambrecht: Wenn Sie vor einem oder eineinhalb Jahren von Rechtsextremismus gesprochen haben, dann mussten Sie in manchen Zusammenhängen sofort sagen, dass auch der Linksextremismus beobachtet werden muss. Und das stimmt. Ich muss genauso den Linksextremismus beobachten und den Islamismus. Aber wenn ich mir anschaue, wie viele Vorfälle, wie viele Angriffe und Straftaten es aus der rechtsextremistischen Szene gibt und vor allem auch in welcher Intensität, dann muss ich klar sagen: Die größte Bedrohung geht aktuell ganz klar vom Rechtsextremismus aus. Das ist der Bereich, aus dem die meisten und schwersten Straftaten kommen.

Aktuell ist es so, dass rechts und links immer wieder gegeneinander aufgerechnet werden. Ist dieses ‚Ja, aber‘ sinnvoll?

Lambrecht: Das ist ein ganz falsches Signal. Wir sind uns alle einig darüber, dass wir alle Formen von Extremismus auf dem Schirm haben müssen. Aber es ist unabweisbar, dass von rechts die größte Bedrohung kommt.

Der Entwurf für das erweiterte Netzwerkdurchsetzungsgesetz liegt vor, es gab viel Zustimmung, aber auch Kritik. Sind die rechten Anschläge am Ende nur ein Vorwand, um nun flächendeckend agieren zu können, so wie es die Law-and-Order-Politiker aus den verschiedensten Fraktionen schon länger fordern?

Lambrecht: Wir haben das Gesetz vor zwei Jahren eingeführt und da gab es schon vergleichbare Befürchtungen. Overblocking, alles wird gesperrt, jetzt darf man nicht mehr sagen, was man denkt – nichts davon ist eingetreten. Man kann gut erkennen, dass die sozialen Plattformen sehr verantwortungsvoll mit dem Sperren und Löschen umgegangen sind.

Warum dann die geplante Verschärfung?

Lambrecht: Wir brauchen in einer Demokratie Kritik und die Auseinandersetzung. Die darf auch hart sein, aber gewisse Grenzen nicht überschreiten. Daher: Bei Morddrohungen und Volksverhetzung wird es in Zukunft eine Pflicht geben, dieses an eine Zentralstelle beim BKA weiterzuleiten. Auch mit der IP-Adresse, damit schnell geklärt werden kann, ob es tatsächlich ein strafbarer Inhalt ist, und dann wird das gegebenenfalls an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Morddrohungen und Volksverhetzung sind Straftaten. Punkt.

Unterstützung haben Sie unter anderem von den Justizministern der Länder. Gibt es auch Reaktionen aus der Bevölkerung?

Lambrecht: Ein Bürger hat mich angeschrieben und meinte, für ihn wäre das eine Form, Dampf abzulassen. Ich habe ihm zurückgeschrieben, dass er, wenn er Dampf ablassen möchte, Sport treiben oder Holz hacken soll. Aber nicht andere Leute bedrohen, denn das ist strafbar. Das muss mal wieder in die Köpfe rein, denn es hat da eine Grenzverschiebung gegeben. In diesem Gesetz muss ich sogar regeln, dass es strafbar ist, Ärzte, Sanitäter oder auch Pfleger in Notfallambulanzen anzugreifen. Dass so etwas erforderlich werden könnte, hätte ich mir nicht vorstellen können.

Ist das ein Spiegelbild der Gesellschaft?

Lambrecht: Leider. Und daher müssen wir auch als Gesellschaft zeigen, dass das nicht geht. Dass es eine Grenze gibt.

Ein weiteres großes Thema dieser Tage sind die Auswirkungen der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Welche Folgen hat der Pakt mit der AfD für die Politik, aber auch die Gesellschaft allgemein?

Lambrecht: Das war ein verantwortungsloser Dammbruch und ganz verheerend, dass man sich mit deren Stimmen hat wählen lassen. Das Schlimmere aber war, die Wahl auch anzunehmen. Das hat einen Grundkonsens, den wir eigentlich unter den demokratischen Parteien hatten, aufgebrochen. Bei allem Respekt für das Einsehen von Fehlern, aber das ist der Punkt, an dem eine Grenze überschritten wurde. Das darf unter Demokraten einfach nicht vorkommen. Die Geschichte hat uns aufgezeigt, wie gefährlich solch ein Vorgehen ist. Daher darf man sich nicht von Rechten wählen lassen. Und schon gar nicht durch sie ins Amt kommen.

Die CDU spürt die Auswirkungen ganz direkt, sucht gerade einen neuen Vorsitzenden, aktuell wohl weniger eine neue Vorsitzende. Sind dabei Parallelen zur Situation der SPD im vergangenen Jahr zu erkennen?

Lambrecht: Überhaupt nicht, denn die SPD ist klar aufgestellt. Wir sind uns einig im Kampf gegen rechts, gegen Faschisten und gegen Rechtsextremismus. Das ist für mich auch die wichtigste Frage, die die CDU nun bei der Vorsitzenden-Wahl klären muss.

Können Sie das genauer definieren?

Lambrecht: Ja. Wie stehst du zu Rechten, wie verhält man sich? Ist es immer noch klar, dass dies unter Demokraten kein Weg sein darf? Oder wird das aufgeweicht? Das muss geklärt sein, unabhängig davon, wer nun Vorsitzender wird.

Wir reden die ganze Zeit von politischer Arbeit in Parteien, gleichzeitig bekommt die außerparlamentarische Arbeit eine immer größere Bedeutung. Wie stehen Sie beispielsweise zu Aktionen von Gruppen wie beispielsweise Ende Gelände, die im Sommer 2019 einen Teil des mit Steinkohle betriebenen Großkraftwerks Mannheim und vor Kurzem das umstrittene Steinkohlekraftwerk Datteln 4 besetzt haben?

Lambrecht: Dass es Gruppen gibt, die den Finger in die Wunde legen oder bestimmte Themen auf die Tagesordnung bringen, empfinde ich als einen zutiefst demokratischen Vorgang, solange man sich an die Gesetze hält. Das brauchen wir auch, es belebt die Diskussion. Manchmal macht das auch noch einmal besonders deutlich, wo Handlungsbedarf besteht. Nichtsdestotrotz würde ich mir beispielsweise auch von Fridays for Future wünschen, dass sie in die Parteien reingehen und etwas in den Parteien verändern.

Sie haben darin eine gewisse Erfahrung.

Lambrecht: Ich komme aus der Anti-Atomkraft-Bewegung, das damalige Atomkraftwerk Biblis lag in meiner Nachbarschaft. Das war für mich eine der Motivationen, mich politisch zu engagieren. 2001 war ich schließlich dabei, als wir den Atomausstiegskonsens beschlossen haben. Manchmal muss man eben Geduld haben, aber das stete Eintreten für Positionen sorgt dafür, dass sich Parteien bewegen. Und die sind es nun mal, die in den Parlamenten die Entscheidungsträger stellen. Daher sage ich: Leute, völlig richtig, dass ihr euch für eure und unsere Belange einsetzt, aber macht das in den Parteien, da könnt ihr viel mehr bewegen und erreichen.

Ist das Korsett der politischen Parteien vielleicht etwas zu eng für junge Leute?

Lambrecht: Es gibt eine Vielzahl von Parteien mit unterschiedlichen Nuancierungen von Themen und da kann man sicherlich auch eine passende politische Heimat finden.

Ihre Vision ist die einer gerechteren und sozialen Gesellschaft. Ist davon zumindest ein Teil in Erfüllung gegangen?

Lambrecht: Ja, klar. Wir haben im vergangenen Jahr zum Beispiel entschieden, dass in Zukunft Pflegekosten für Familienangehörige nur noch dann gefordert werden, wenn die Betroffenen, meistens sind es die Kinder der zu Pflegenden, mehr als 100 000 Euro im Jahr verdienen. Dass ich ein gutes Pflegeheim für die Eltern finde und meine Kinder trotzdem eine gute Ausbildung bekommen können, das ist für mich die gelebte Umsetzung dieses Grundsatzes.

Stichwort Gerechtigkeit: Das Bundeskabinett zählt sieben Frauen, ihnen gegenüber stehen neun Männer. Haben es Frauen heute in der Politik immer noch schwerer als Männer?

Lambrecht: Es gibt sicherlich noch Vieles, was deutlich besser werden kann. Dazu gehört auch die Vertretung von Frauen in Parlamenten, die nicht so ist, dass sie das Geschlechterverhältnis in der Bevölkerung widerspiegelt. Frauen sind nicht die besseren Menschen, aber bestimmte Verhaltensweisen machen wir uns Gott sei Dank nicht zu eigen. Für Frauen ist es in der Politik sicher noch immer etwas schwerer als für Männer, weil bestimmte Klischees immer noch gelten. Aber es hat sich in den letzten 20 Jahren eine ganze Menge geändert.

Wäre eine verbindliche Frauenquote, auch mit Blick auf die Wahlrechtsreform, sinnvoll?

Lambrecht: Ich finde schon, dass der nächste Bundestag das Geschlechterverhältnis in der Bevölkerung besser abbilden sollte. Daher haben wir bei der SPD verbindliche Frauenquoten eingeführt. Daran könnten sich andere ein Beispiel nehmen.

Sie sind seit Sommer 2019 Ministerin. Hat sich seitdem etwas, abseits der Politik, grundlegend in Ihrem Leben verändert?

Lambrecht: Als Ministerin steht man noch mehr im Vordergrund, und ich bin noch mehr unterwegs als zuvor als Staatssekretärin. Aber ich habe sehr viel Freude an meiner Arbeit. Ich darf meine Leidenschaft zum Beruf machen und zur Gestaltung des Rechtsstaats an zentraler Stelle beitragen. Das ist eine große Ehre. sf

Zur Person

Christine Lambrecht (SPD), geboren 1965 in Mannheim, ist seit dem 27. Juni 2019 Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz.

Von 2011 bis 2013 war sie stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, später Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.

Von März 2018 bis Juni 2019 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen.

Seit 1998 ist Christine Lambrecht Mitglied des Deutschen Bundestages, errang hierfür 1998 und 2002 ein Direktmandat im Wahlkreis Bergstraße.

Ihre politische Karriere begann mit dem Eintritt in die SPD 1982, von 1985 bis 2001 war sie Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Viernheim.

Mitglied des Kreistags Bergstraße war sie von 1989 bis 1997. red

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) besteht seit zwei Jahren und zielt darauf ab, Hasskriminalität, strafbare Falschnachrichten und andere strafbare Inhalte auf den Plattformen sozialer Netzwerke wirksamer zu bekämpfen.

Dazu zählen zum Beispiel Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Bedrohung.

BundesjustizministerIn Christine Lambrecht möchte dieses Gesetz nun verschärfen, um Hetze im Netz noch effektiver bekämpfen zu können.

Wer künftig in sozialen Netzwerken volksverhetzende Inhalte oder gar Morddrohungen verbreitet, muss damit rechnen, dass seine Daten wie IP-Adresse und Portnummer an das Bundeskriminalamt (BKA) weitergeleitet werden.

So sollen Ermittler die Täter hinter den Posts leichter enttarnen können.

Die Ermittler könnten schon kurz nach der Veröffentlichung eines unzulässigen Kommentars die Arbeit aufnehmen. Bislang verpflichtet das bestehende NetzDG die Konzerne, strafbare Posts innerhalb von 24 Stunden zu löschen.

Damit dies auch umgesetzt werden kann, wurden beim BKA bereits 300 neue Stellen geschaffen. sf

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