Sapperlot - Kabarettist Severin Groebner – Wiener aus Frankfurt – begeisterte im Theater mit blitzschnellen Gedankenspielen

Vom Abendgang des Unterlands

Von 
Thomas Tritsch
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Kabarettist Severin Groebner thematisierte Krisen bis zur Apokalypse und empfahl: Bestell´ noch mal ein Achtel und warte ab. © Neu

Lorsch. Wenn Sie das lesen können, lieber Leser und liebe Leserin, dann hat Severin Groebner die Unwahrheit verbreitet. Die Welt ist nicht untergegangen. Denn das sollte sie, so der Kabarettist, am letzten Sonntagmorgen um 9.45 Uhr. Aber vielleicht hat die Apokalypse ja auch stattgefunden und das Jenseits ist nur eine verblüffend gut gemachte Parallelwelt mit genau dem gleichen Personal, den gleichen Sorgen und denselben Hoffnungen wie vorher.

Das wäre durchaus enttäuschend. Bereits Luther hatte mit seiner für 1532 prophezeiten Auszeit für unnötigen Wirbel gesorgt. Doch was Severin Groebner im aktuellen Programm anstellt, ist wirklich boshaft, niederträchtig und anmaßend.

Mit diebischer Lust spielt der Schlaks im Pyjama mit den Ängsten seiner Artgenossen, die hinter jeder nächsten Ecke Katastrophen, Terroristen oder Fanatiker wähnen, die ihnen den bequemen Alltag aus der Schiene bomben. „Der Abendgang des Unterlands“ ist ein temporeiches Gedankenspiel gegen Klischees und festgefressene Ansichten, das Xenophobie und nationale Ressentiments seziert und dabei auch ein bisschen intellektuelles Blutvergießen gern in Kauf nimmt. Der subtile Schmerz der Erkenntnis hat selten geschadet.

In einer virtuosen Nummer rast Groebner durch seine genetisch bunte Ahnentafel und kommt nach einer grandiosen theoretischen Völkerwanderung bis zurück zum Einzeller zu dem identifikationsstiftenden Schluss: „Meine Nation ist eine Kombination.“ De größte Gefahr für eine Kultur bestehe darin, wenn die, die sie verteidigen wollen, eigentlich gar keine besitzen. Im Theater Sapperlot war dieses kostbare Gut mehrheitlich vorhanden – und Groebner wurde verstanden. Denn wer dem vielfach ausgezeichneten Bühnensatiriker, Zeitungs- und Radio-Kolumnisten folgen will, der muss schon geistig auf der Hut sein, um den blitzschnellen Assoziationswechseln und Gedankenspiralen in ihre Tiefe folgen zu können.

Das Programm ist eine Art Orientierungshilfe für Endverbraucher, ein mentales Bootcamp für chronische Pessimisten und eine erhellende Watschen ins Gesicht von jenen, die ständig den Untergang des Abendlandes kommen sehen. Groebners Lust am Untergang ist eine andere: angstfrei, hedonistisch und gelassen. Eine coole, recht Wienerische Gegenreaktion auf die kollektive Panik der Zeitgenossen, die in Ermangelung realer Bedrohungen jeden Moment eine feindliche Übernahme von verschwörerischen Elementen befürchten, die „ihre“ Traditionen sabotieren wollen.

Der wahre Grund zur Sorge heißt Manipulation. Rechtspopulisten gelinge es besonders gut, den gesellschaftlichen Diskurs in ihrem Sinne zu beschlagnahmen, so Groebner, der vehement gegen jede Form von destruktiver Energie aufrüstet und der gesellschaftlichen Panik über die angstschweißige Stirn streichelt und sagt: So schlimm wird`s nicht. Bestell` noch ein Achtel und warte ab, was passiert. Und wenn nichts passiert, reden wir über den Nachtisch.

Das Publikum hatte einen Heidenspaß an diesem hyperaktiven Live-Tutorial zur Daseinsbewältigung mit eingebauter Warnung vor denkfaulem Mitläufertum. „Es gibt Menschen, die wollen einen Staat haben, wo alle gleich aussehen. Wo sie einen haben, der sagt, wo’s langgeht. Denen kann man nur raten: Werden Sie Ameise!“ Wer sich nicht von den Exkrementen seines Nächsten ernähren möchte, sollte sich das aber noch mal überlegen.

Helfen Omas Küchenweisheiten?

Mit köstlichen Songs zur Cigar-Box-Gitarre („Auf dem Kinderspielplatz sitzt ein Terrorist“), bei denen er manchmal das Timbre von Peter Alexander erwischt, philosophischen Soli als Zeus und klug vertrackten Denkübungen hält Groebner das hohe Tempo bis in die zweite Hälfte hinein durch. Nach der Pause wird es sogar noch besser. Er thematisiert den Selfie am landschaftlichen Abgrund als Teil einer natürlichen Auslese im Evolutionsprozess, interpretiert den Untergang der Titanic als opulentes All-you-can-eat-Buffet für den aasliebenden Schleimaal und referiert über den Stolz als ziemlich relatives Gefühl.

Severin Groebner analysiert die Gegenwart als Geschichtsrecycling auf der Müllhalde der Historie, wo es nach gebrochenem Stolz und gefallenem Hochmut rieche. Und was ist nun mit Armageddon? Was soll man dazu anziehen? Helfen Omas Küchenweisheiten, schöne Kalendersprüche oder doch eher fernöstliche Existenzratgeber?

Der Wiener aus Frankfurt stellt fest: „Der Untergang macht uns alle gleich – also gleich alle.“ Der Tod als solidarisches Vorbild in schwierigen Zeiten. Mühelos springt Groebner von globalen in persönliche und selbstgemachte Krisen, verdrahtet in artistischer Manier geschliffene Texte, geschickt platzierte Pointen und theatralische Miniaturen zu einer künstlerisch cremigen Melange, deren feines Aroma noch lange im Mund, also im Kopf bleibt. Deutlich länger als bis viertel vor zehn am Sonntagmorgen im unbedrohten Abendland. Freudiger Applaus im Sapperlot.

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